Ein internationales Astronomenteam hat den bisher umfangreichsten Sternenkatalog der zentralen Milchstraße erstellt: Er enthält über 84 Millionen Sterne und damit zehn Mal mehr als bisherige Kataloge. Basis der neuen Auflistung ist eine neun Gigapixel große Aufnahme des VISTA-Infrarotdurchmusterungsteleskops am Paranal-Observatorium der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile. Das Bild wäre neun Meter lang und sieben Meter hoch, würde man es in Druckqualität ausdrucken. Betrachter können nun in höchster Auflösung in das Zentrum der Milchstraße zoomen.
Wie bei den meisten anderen Spiralgalaxien findet sich auch um die zentralen Bereiche unserer Milchstraße herum eine größere Anzahl älterer Sterne. Wie dieser sogenannte Bulge sich gebildet und entwickelt hat, ist eine der Schlüsselfragen zum Verständnis unserer Heimatgalaxie. Die Suche nach einer Antwort wird dadurch erschwert, dass dieser Bereich der Milchstraße für Beobachtungen im herkömmlichen sichtbaren Licht nicht direkt zugänglich ist. „Beobachtungen des Bulges der Milchstraße sind schwierig, weil zwischen Bulge und Erde dichte Staubwolken liegen, die das sichtbare Licht abschwächen“, erklärt Dante Minniti von der Pontificia Universidad Catolica de Chile, einer der Koautoren der Studie. „Für einen direkten Blick in das Herz unserer Galaxis müssen wir im nahen Infrarot beobachten. Infrarotstrahlung wird von dem kosmischen Staub deutlich weniger stark beeinträchtigt.”
Ein Prozent des Sternenhimmels auf einem Bild
Mit seinem großen Hauptspiegel, seinem großen Gesichtsfeld und seiner hochempfindlichen Kamera ist VISTA, das Visible and Infrared Survey Telescope for Astronomy wie geschaffen für diese Aufgabe. Das Astronomenteam verwendete die Daten einer der sechs großen Durchmusterungen, die mit VISTA durchgeführt werden. Sie erzeugten daraus ein gigantisches Farbbild mit einer Größe von 108.200 x 81.500 Pixeln, also eine Neun-Gigapixel-Aufnahme. Das Ergebnis ist eines der größten astronomischen Bilder überhaupt.
Die Aufnahme deckt etwa 315 Quadratgrad ab, also etwas weniger als ein Prozent des gesamten Himmels. Die zugrundeliegenden Beobachtungen wurden mit drei verschiedenen Nahinfrarotfiltern durchgeführt. Der daraus gewonnene Katalog umfasst die Positionen der Sterne und ihre Helligkeiten in den drei entsprechenden Farbbändern. Er enthält etwa 173 Millionen Objekte, von denen bislang 84 Millionen als Sterne bestätigt werden konnten. Alle anderen Objekte sind entweder zu lichtschwach, überdecken sich mit ihren nächsten Nachbarn oder sind durch Bildartefakte so sehr beeinträchtigt, dass keine genauen Messungen möglich waren. Bei einigen anderen handelt es sich aber auch um ausgedehnte Objekte wie zum Beispiel ferne Galaxien.
Farben-Helligkeits-Diagramm für 84 Millionen Sterne
Als Teil der Analyse der riesigen Datenmengen trugen die Astronomen die Farben von rund 84 Millionen Sternen gegen die Helligkeit dieser Sterne auf. Diese Grafik, ein sogenanntes Farben-Helligkeits-Diagramm, enthält mehr als zehn Mal so viele Datenpunkte wie alle vorangegangenen Studien und beinhaltet erstmals Daten des gesamten Bulges. Solche Farben-Helligkeits-Diagramme helfen den Wissenschaftlern dabei, Eigenschaften von Sternen wie ihre Oberflächentemperaturen oder Massen sowie das Alter der Sterne zu ermitteln.
„Zu jedem Zeitpunkt seines Lebens entspricht einem Stern ein ganz bestimmter Punkt in diesem Diagramm. Die Lage dieses Punktes hängt von der Helligkeit und der Temperatur des Sterns ab. Die neuen Daten liefern uns einen Schnappschuss von 84 Millionen Sternen auf einmal – eine regelrechte kosmische Volkszählung für diesen Teil unserer Milchstraße“, ergänzt Minniti.
Das neue Farben-Helligkeits-Diagramm des galaktischen Bulges sei eine wahre Fundgrube für Astronomen, die die Struktur und Zusammensetzung unserer Milchstraße erforschen. Eines der ersten Ergebnisse ist beispielsweise die große Anzahl lichtschwacher roter Zwergsterne. Solche Sterne sind ideale Kandidaten für die Suche nach extrasolaren Planeten mit der sogenannten Transitmethode. „Untersucht man die Myriaden von Sternen in der Umgebung des galaktischen Zentrums im Detail, dann kann man nicht nur etwas über die Entstehung und Entwicklung unserer Milchstraße lernen, sondern über Spiralgalaxien ganz allgemein”, sagt Erstautor Roberto Saito von der Pontificia Universidad Católica de Chile.
(ESO, 26.10.2012 – NPO)