Astronomie

Milchstraße: Die Radcliffe-Welle oszilliert

Riesiges Band aus Gas und Sternenwiegen in unserer galaktischen Nachbarschaft bewegt sich

Radcliffe-Welle
Die Radcliffe-Welle ist ein riesiges Band aus Sternenwiegen und Gaswolken – und dieses Band schwingt, wie Astronomen herausgefunden haben. © Ralf Konietzka, Alyssa Goodman / WorldWide Telescope

Und sie bewegt sich doch: Die Radcliffe-Welle, ein riesiges, nur 500 Lichtjahre von uns entferntes Band aus Sternenwiegen und Gaswolken, ist dynamischer als gedacht. Denn diese galaktische Megastruktur oszilliert wie eine La-Ola-Welle, wie Astronomen jetzt herausgefunden haben. Ihre Vermessung mithilfe von Jungsternen legt zudem nahe, dass das gesamte Band einst durch unsere lokale Blase verlief. Demnach könnten auch die Sterne, deren Supernovae diese Blase freiwehten, einst in der Radcliffe-Welle geboren worden sein.

Unsere Heimatgalaxie sorgt immer wieder für Überraschungen. So haben Astronomen erst in den letzten Jahren die Rotation der Milchstraße genauer bestimmt, verblüffend junge Sterne in ihrem Herzen aufgespürt und gleich mehrere Anomalien in ihrer Großstruktur entdeckt. Dazu gehören die verbeulte Form der Sternenscheibe, aber auch gigantische Blasen, „Schornsteine“ und Ringe.

Radcliffe-Welle
Die Radcliffe-Welle ist 9.000 Lichtjahre lang und ihre Bögen ragen über und unter die Hauptebene der Milchstraße hinaus. © Harvard University

Bewegt sich die Radcliffe-Welle oder nicht?

Im Jahr 2020 enthüllten Daten des europäischen Gaia-Weltraumteleskops, dass es in unserer galaktischen Nachbarschaft – in nur rund 500 Lichtjahren Entfernung – ein gigantisches, wellenförmiges Band aus Sternenwiegen und Gaswolken gibt. Diese Radcliffe-Welle ist rund 9.000 Lichtjahre lang und erstreckt sich von uns aus gesehen über das halbe Firmament. „Es ist die größte uns bekannte kohärente Struktur dieser Art – und sie ist uns wirklich sehr nahe“, sagt Koautorin Catherine Zucker von der Harvard University.

Unklar blieb jedoch, ob die Radcliffe-Welle statisch ist oder sich bewegt. Deshalb hat nun ein Team um Zucker und Erstautor Ralf Konietzka von der Harvard University das gewaltige Band noch einmal mithilfe neuerer Gaia-Daten untersucht. Sie analysierten dafür gezielt die dreidimensionale Bewegung von Jungsternen in mehreren jungen Sternhaufen der Welle. „Anhand der Bewegung der Baby-Sterne, die entlang der Radcliffe-Welle geboren wurden, können wir die Bewegung ihres Ursprungsgases nachverfolgen“, erklärt Konietzka.

La-Ola-Welle aus Sternenwiegen

Dies enthüllte: Die Radcliffe-Welle ist nicht statisch, sondern bewegt sich. Das gesamte Band aus Gaswolken und Sternenwiegen oszilliert in Form einer Wanderwelle. Wie bei einer Meereswelle oder einer La-Ola-Welle im Stadion bewegen sich die einzelnen Sternhaufen und Sterne dabei nicht seitlich, sondern nur auf und ab. Dadurch verlagern sich die Wellenberge und -täler im Laufe der Zeit. „Die Extrema scheinen dabei von der Sonne aus gesehen von rechts nach links zu wandern“, berichten die Astronomen. Die Amplitude der Welle liegt bei bis zu 720 Lichtjahren, ihre Wellenlänge bei rund 6.500 Lichtjahren.

Damit ist die riesige Wanderwelle eine der größten dynamischen Strukturen in der Milchstraße. Die Bewegung solcher Großstrukturen könnte sogar das Verhalten der Spiralarme unserer Galaxie prägen, wie das Team erklärt. Denn die Radcliffe-Welle macht rund 20 Prozent der Breite des lokalen Orionarms der Milchstraße aus und erstreckt sich über 40 Prozent seiner Länge – sie bildet damit gewissermaßen sein Rückgrat.

Nach Ansicht der Astronomen ist es durchaus möglich, dass es auch in den anderen Spiralarmen der Milchstraße solche Wanderwellen gibt. „Das würde unser Verständnis von Galaxien auf spannende Art vertiefen, denn dann wären sie noch dynamischer als bisher angenommen“, sagt Koautor João Alves von der Universität Wien.

Radcliffe-Welle
Die farbigen Linien deuten die Veränderungen der Radcliffe-Welle im Laufe der Zeit an. Der gelbe Punkt zeigt die Position der Sonne. © Ralf Konietzka, Alyssa Goodman / WorldWide Telescope

Schuf die Welle unsere lokale Blase?

Interessant auch: Neben der allmählichen Oszillation der Radcliffe-Welle detektierten die Astronomen eine weitere Bewegung der riesigen Struktur: „Die Welle driftet mit rund fünf Kilometern pro Sekunde nach außen, vom galaktischen Zentrum weg“, berichten Konietzka und sein Team. Demnach war dieses Band uns einst sogar noch näher als heute. Das wirft auch ein neues Licht auf die von früheren Supernovae freigefegte „lokale Blase„, in der unser Sonnensystem liegt.

„Die Richtung der Drift stützt die Annahme, dass die Radcliffe-Welle einst auch der Geburtsort der Centaurus-Lupus- und der Centaurus-Crux-Sternenhaufen war – der Heimat der Supernovae, die vor rund 15 Millionen Jahren die lokale Blase erschufen“, erklären die Astronomen. Damit könnte die Radcliffe-Welle sogar unsere nächste galaktische Umgebung geprägt haben.

Entstehung der Riesenwelle noch ungeklärt

„Die spannende Frage ist nun, wie diese große Störung entstehen konnte und was wir daraus über die Struktur und Entwicklung unserer Milchstraße lernen können”, sagt Koautor Andreas Burkert vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik. Bisher hielt man eine externe Störung, beispielsweise durch die Kollision der Milchstraße mit einer Zwerggalaxie für die wahrscheinlichste Ursache der Radcliffe-Welle. „Aber jüngsten Studien zufolge müsste die dabei erzeugte Wellenlänge um eine Größenordnung größer sein als das beobachtete Muster“, so die Astronomen.

Theoretisch könnten jedoch auch interne Instabilitäten der Milchstraße ähnliche Großstrukturen erzeugen. Wie die Forschenden berichten, entstehen in einigen Modellsimulationen der Galaxienentwicklung lange, gerade Filamente, die möglicherweise Vorformen solcher Riesenwellen sind. Doch wie diese gigantische, oszillierende Struktur in unserer Galaxie wirklich entstand, ist noch offen. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07127-3)

Quelle: Harvard University, Ludwig-Maximilians-Universität München, Universität Wien

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