Galaxiendieb: Die Milchstraße hat nicht nur Gas und Sterne von ihren Nachbarn gestohlen, sondern sogar ganze Galaxien. Denn die beiden hellen Zwerggalaxien Carina und Fornax sowie mindestens vier ultraschwache Zwerggalaxien könnten ursprünglich zur Großen Magellanschen Wolke gehört haben, wie Astronomen herausgefunden haben. Ursache dieser „Übernahme“ ist die größere Masse und Schwerkraft unserer Heimatgalaxie.
Die Milchstraße ist ein „Dieb“ – so viel scheint klar. Denn im Laufe ihrer Geschichte hat sie immer wieder Gas und Sterne von nahen Zwerggalaxien, aber auch von den Magellanschen Wolken übernommen. Astronomen schätzen, dass sogar rund die Hälfte aller Atome in der Milchstraße ursprünglich extragalaktischen Ursprungs waren. In rund 2,4 Milliarden Jahren könnte unsere Heimatgalaxie sogar mit der Großen Magellanschen Wolke verschmelzen – und dadurch noch weiter anwachsen.
Mindestens sechs Trabanten gehörten einst dem Nachbarn
Jetzt zeigt sich, dass die Milchstraße sogar noch „raffgieriger“ ist als bislang angenommen. Denn sie hat neben Sternen und Gasströmen auch ganze Zwerggalaxien aus dem Einflussbereich ihrer Nachbarn gezogen und an sich gebunden. Entdeckt haben dies Ethan Jahn von der University of California in Riverside und seine Kollegen, als sie Daten des Gaia-Weltraumteleskops zu Zwerggalaxien und anderen Massekonzentrationen im Halo der Milchstraße und der Großen Magellanschen Wolke analysierten.
Dabei stellten die Forscher fest: Einige Trabanten der Milchstraße, darunter die hellen Zwerggalaxien Carina und Fornax, zeigen ein auffallendes Bewegungsmuster. Dieses spricht dafür, dass diese Galaxien einst nicht zur Milchstraße, sondern zur Großen Magellanschen Wolke gehörten. Auch mindestens vier ultralichtschwache Zwerggalaxien – Masseansammlungen mit viel Dunkler Materie aber wenigen Sternen – scheinen ursprünglich unserem Nachbarn gehört zu haben, wie die Astronomen berichten.
Übernahme in der letzten eine Milliarde Jahre
Ursache für diese Übernahme der Trabantengalaxien ist die zunehmende Wechselwirkung der Milchstraße mit ihrem leichteren Nachbar. Demnach sind die beiden Magellanschen Wolken zunehmend unter den Schwerkrafteinfluss der massereicheren Milchstraße geraten. Dabei wechselten mehrere Zwerggalaxien aus dem Halo der Großen Magellanschen Wolke in den Halo der Milchstraße – und dies vermutlich erst innerhalb der letzten eine Milliarde Jahre, wie Jahn und seine Kollegen anhand astrophysikalischer Modelle ermittelten.
„Wenn so viele Zwerggalaxien erst kürzlich mit der Großen Magellanschen Wolke zu uns kamen, dann bedeutet dies auch, dass die Satellitenpopulation der Milchstraße noch vor einer Milliarde Jahren radikal anders aussah als heute“, sagt Jahns Kollegin Laura Sales. „Das beeinflusst auch unsere Vorstellung davon, wie sich die lichtschwächsten Galaxien bilden und entwickeln.“
Hierarchische Abfolge
Die aktuellen Daten bestätigen, dass auch die Große Magellansche Wolke einst eigene Satellitengalaxien besaß – und womöglich noch immer besitzt. „Man hat schon länger darüber spekuliert, ob die Große Magellanschen Wolke, der größte Satellit der Milchstraße, nicht auch selbst solche Trabanten besitzt“, erklären Jahn und seine Kollegen. „Unsere Ergebnisse sind nun eine wichtige Bestätigung dieser kosmologischen Modelle.“
Den gängigen Modellen zufolge gibt es eine Art Hierarchie bei Galaxien und ihren Halos: Große Galaxien werden von Zwerggalaxien umkreist, die wiederum selbst noch kleinere, lichtschwächere Trabanten besitzen können. Die Astronomen vermuten daher, dass unser Nachbar noch heute solche ultralichtschwachen Begleiter besitzt. „Kleine Galaxien sind nur schwer aufzuspüren. Daher ist es möglich, dass einige schon bekannte ultraschwache Zwerggalaxien in Wirklichkeit zur Großen Magellanschen Wolke gehören“, erklärt Jahn.
Der Astronom hält es für sehr wahrscheinlich, dass wir in Zukunft auch noch neue Vertreter solcher ultralichtschwachen Zwerggalaxien im Halo unseres galaktischen Nachbarn entdecken werden. (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 2019; doi: 10.1093/mnras/stz2457)
Quelle: University of California – Riverside