Ausgestoßen: Im Halo der Milchstraße haben Astronomen Sternenklumpen mit einer überraschenden Herkunft entdeckt. Denn sie sind keine „Beute“ aus vereinnahmten Zwerggalaxien, wie bisher angenommen. Stattdessen stammen sie aus dem Milchstraßeninneren und müssen einst von unserer Galaxie nach außen geschleudert worden sein, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten. Belege dafür fanden sie in der chemischen Zusammensetzung dieser „ausgestoßenen“ Sterne.
Die meisten Sterne der Milchstraße bewegen sich in einer Ebene, die die Spiralarme und den zentralen Bereich umfasst. Doch es gibt auch einige Außenseiter: Sterne und Sternenströme, die in dem kugelförmigen Halo unserer Galaxie liegen. Durch Messung der Geschwindigkeit und des Lichtspektrums dieser Sterne haben Astronomen festgestellt, dass zumindest einige von ihnen nicht aus unserer Heimatgalaxie stammen: Sie wurden von der Milchstraße annektiert, als sie nahe Zwerggalaxien in sich aufnahm. Andere Sterne hat die Milchstraße sogar von noch existierenden Nachbargalaxien gestohlen.
Rätsel um zwei Sternenklumpen im Halo
Bei zwei weiteren Sternenansammlungen in dem Halo war die Herkunft jedoch bisher stark umstritten. Triangulum-Andromeda (Tri-And) und A13 liegen an gegenüberliegenden Seiten der Galaxie: Einer dieser stellaren Klumpen liegt rund 14.000 Lichtjahre über der Milchstraßenscheibe, der andere etwa gleich weit entfernt unterhalb der Scheibe.
„Frühere Studien der Sternenbewegung in diesen stellaren Strukturen enthüllten, dass die kinematisch miteinander verbunden sind“, erklären Maria Bergemann vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg und ihre Kollegen. „Beide Sternenansammlungen könnten zum Monoceros-Ring gehören, einer ringförmigen Struktur, die sich um die Galaxie windet. Doch woher stammt dieser Sternenring?
Erstaunlich ähnlich
Um das zu klären, haben Bergemann und ihre Kollegen nun 14 Sterne in Triangulum-Andromeda und A13 näher untersucht. Sie analysierten ihr Lichtspektrum und konnten so auf die chemische Zusammensetzung der Sterne schließen. „Ähnlich wie bei einem DNA-Abgleich erlaubt uns das, die Herkunft des Sterns zu identifizieren“, erklärt Bergemann. „Denn Sterne aus unterschiedlichen Geburtsorten haben sehr verschiedene chemische Zusammensetzungen.“
Das überraschende Ergebnis: Obwohl die Sterne aus Triangulum-Andromeda und A13 auf entgegengesetzten Seiten der Milchstraße liegen, sind sie sich chemisch extrem ähnlich. „Die chemische Zusammensetzung beider Sternengruppen ist nahezu identisch“, berichten die Astronomen. „Das spricht dafür, dass sie einen gemeinsamen Ursprung haben.“
Doch keine „Fremdlinge“
Wo dieser Ursprung liegen könnte, ergab ein weiterer Vergleich: Obwohl diese Sterne weit entfernt von der galaktische Ebene im Halo liegen, sind sie chemisch von „normalen“ Milchstraßensternen kaum zu unterscheiden, wie die Forscher feststellten. Die Häufigkeit der verschiedenen Elemente in diesen Halo-Sternen entsprach ziemlich genau der der meisten Sterne innerhalb der galaktischen Scheibe.
Die Astronomen schließen daraus, dass diese Halo-Sterne nicht von einer anderen Galaxie stammen können – im Gegensatz zu anderen Sternenströmen im Halo. Stattdessen müssen diese Sterne einst zur normalen stellaren Population unserer Galaxie gehört haben – bis sie irgendwann in der Vergangenheit „ausgestoßen“ und nach außen geschleudert wurden.
Heftige Schwingungen der Sternenscheibe
Aber wie gelangten die Sterne so weit über und unter die galaktische Scheibe? „Ein plausibles Szenario wäre die Verschmelzung einer Zwerggalaxie mit der Milchstraße“, erklären die Forscher. „Simulationen zeigen, dass solche Kollisionen vertikale Schwingungen und Ausbrüche in der Galaxienscheibe erzeugen können.“ Diese heftigen Schwingungen der Milchstraße könnten dann einzelne Sterne oder Sternengruppen aus der Ebene in den Halo geschleudert haben.
Bei den Sternen von Triangulum-Andromeda und A13 könnte sogar schon ein nahes Vorbeiwandern der Sagittarius-Zwerggalaxie zu diesem Herausschleudern geführt haben. Eine Simulation dieses Ereignisses ergab, dass die Schwerkraft-Wechselwirkungen beider Galaxien bei einer solchen Passage ausreichen, um die Milchstraßenscheibe um 30 Grad nach oben und unten schwingen zu lassen.
Die Milchstraße hat demnach eine deutlich dynamischere Geschichte hinter sich als lange gedacht. Sie hat nicht nur Sterne fremder Galaxien für sich vereinnahmt, sondern auch eigenen Sterne weit ins All hinausgeschleudert. Bergemann und ihre Kollegen vermuten, dass ähnliche Prozesse auch in anderen Galaxien vorkommen könnten. (Nature, 2018; doi: 10.1038/nature25490)
(Max-Planck-Institut für Astronomie, 27.02.2018 – NPO)