Rätselhafte Struktur: Astronomen haben an der Unterseite der Milchstraße ein gigantisches Gas-Filament entdeckt. Das 3.900 Lichtjahre lange Band aus Wasserstoff ist eine der größten bekannten Gasformationen unserer Galaxie. Das gesamte Gebilde könnte rund 1,7 Millionen Sonnenmassen an Gas enthalten, wie die Forscher berichten. Warum dieses Gasband jedoch 1.600 Lichtjahre unterhalb der Galaxienebene liegt und wie es entstanden ist, bleibt vorerst ungeklärt.
Auf de ersten Blick ist unsere Milchstraße eine ganz normale Balkengalaxie – eine Spiralgalaxie mit einem zentralen Balken und vier großen Spiralarmen. All diese Strukturen und ein Großteil der rund 100 bis 300 Milliarden Sterne liegen in der flachen, scheibenförmigen Hauptebene der Galaxie. Doch in den letzten Jahren haben Astronomen noch weitere, teils rätselhafte Strukturen in unserer galaktischen Heimat entdeckt. Darunter sind eine riesige, sich durch die Hauptebene windende Welle, gewaltige Blasen aus Gammastrahlen und zahlreiche Sterne und Gasströme extragalaktischen Ursprungs.
Unter der Milchstraßenebene versteckt
Jetzt ist eine weitere Struktur dazu gekommen – ein langes Band aus Wasserstoffgas, das unter der Hauptebene unsere Galaxie entlangläuft, aber dennoch parallel dazu liegt. „Wir wissen zwar noch nicht genau, wie es dorthin gelangt ist. Aber das Filament verläuft etwa 1.600 Lichtjahre unterhalb der Milchstraßenebene“, berichtet Erstautor Jonas Syed vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Erste Hinweise auf dieses „Maggie“ getaufte Gebilde hatten Astronomen schon vor rund einem Jahr entdeckt, es blieb aber unklar, wie groß es ist und woraus es besteht.
Um mehr herauszufinden, haben Syed und sein Team Aufnahmen und Spektraldaten des Very Large Array (VLA) des Green Bank Radioteleskop in den USA analysiert. In diesen Daten suchten sie gezielt nach der Strahlungssignatur von neutralem Wasserstoffgas, das typischerweise Radiostrahlung der Wellenlänge um 21 Zentimeter abgibt. „Die Beobachtungen ermöglichten zudem, die Geschwindigkeit des Wasserstoffgases zu ermitteln“, erklärt Syeds Kollege Henrik Beuther.
Gigantisches Filament aus Gas
Die Analysen enthüllten: Das „Maggie“-Filament besteht aus atomarem Wasserstoffgas und bildet tatsächlich ein einziges riesiges Band. Dieses ist etwa 3.900 Lichtjahre lang und 130 Lichtjahre breit. „Damit haben wir eines der größten, kohärenten und größtenteils aus atomarem Wasserstoff bestehenden Filamente der Milchstraße identifiziert“, berichten die Astronomen. Demgegenüber sind die größten bekannten Wolken aus molekularem Gas typischerweise nur rund 800 Lichtjahre groß.
„Maggie war zwar schon in früheren Auswertungen der Daten erkennbar. Aber erst die aktuelle Untersuchung beweist zweifellos, dass es sich um eine zusammenhängende Struktur handelt“, erläutert Koautor Juan Soler vom MPI für Astronomie. Hinzu kommt: Das Filament liegt rund 55.000 Lichtjahre von uns entfernt auf der anderen Seite der Milchstraße und enthält keine aktiven Sternbildungsregionen. Dadurch ist es von der Erde aus nur schwer auszumachen.
Ursprung rätselhaft
Woher Maggie kommt und wie dieses riesige Gasband entstanden ist, bleibt vorerst rätselhaft. Zwar gibt es noch andere großräumige Strukturen in unserer Galaxie, aber ihre Lage außerhalb der Milchstraßen-Ebene und dennoch parallel dazu ist nur schwer mit gängigen Prozessen zu erklären. So haben Gasströme aus Supernova-Ereignissen meist eine zufällige Ausrichtung und auch bei von außen einströmenden Gasen ist die Chance für eine so parallele Ausrichtung minimal, wie das Team erklärt.
Denkbar wäre aber, dass „Maggie“ erst nachträglich an seine heutige Position unterhalb der galaktischen Ebene gelangt ist: „Wir vermuten, dass dieses Filament in der Mitte der Ebene entstand und dann durch vertikale Oszillationen der Galaxie in diese weite Entfernung gebracht wurde“, schreiben Syed und seine Kollegen.
Übergang zur molekularen Sternenwiege?
Ungewöhnlich ist das „Maggie“-Filament aber noch aus einem anderen Grund: Die Messdaten deuten darauf hin, dass das atomare Wasserstoffgas an einigen Stellen dieses Bandes zusammenströmt und sich dort zu größeren Wolken ansammelt und verdichtet. Dort könnte das atomare Gas teilweise in eine molekulare Form übergehen. Bisher liegt der Anteil von molekularem Wasserstoff in diesem Filament allerdings erst bei rund acht Prozent.
Nach Ansicht der Astronomen könnte „Maggie“ damit ein Bindeglied zwischen atomaren Wasserstoffströmen und molekularen Wolken darstellen – dem Rohstoff, aus dem sich Sterne bilden. „“Maggie könnte dann der erste Vertreter einer Klasse von atomaren Wolken sein, die die Vorläufer der gigantischen molekularen Filamente bilden“, erklären Syed und seine Kollegen. Demnach könnten in diesem jenseits der galaktischen Scheibe liegenden Gasband womöglich dereinst neue Sterne entstehen.
„Allerdings bleiben noch viele Fragen offen“, gibt Syed zu bedenken. „Weitere Daten, über die wir uns mehr Hinweise über den Anteil des molekularen Gases erhoffen, warten bereits auf die Auswertung.“ (Astronomy & Astrophysics, 2021; doi: 10.1051/0004-6361/202141265)
Quelle: Max-Planck-Institut für Astronomie