Astronomie

Milchstraße rotiert anders als gedacht

Tempo-Abfall am Außenrand der Galaxie spricht für weniger Dunkle Materie im Zentrum

Milchstraße
Wie schnell unsere Milchstraße in ihren Außenbereichen rotiert, war bisher nur in Ansätzen bekannt. Jetzt gibt es neue Daten. © NASA/JPL-Caltech; ESO/ R. Hurt

Abgeknickte Kurve: Die Milchstraße dreht sich an ihrem äußeren Rand langsamer als sie sollte, wie neue Messungen enthüllen. Auch das Rotationstempo fällt steiler ab als erwartet. Dies widerspricht dem gängigen Modell der Massenverteilung in unserer Galaxie – und könnte auf eine abweichende Verteilung der Dunklen Materie hindeuten, wie die Astronomen berichten. Demnach müsste es weniger Dunkle Materie im Milchstraßenzentrum geben, möglicherweise ist sogar die Milchstraße insgesamt leichter.

Ob unsere Milchstraße, nahe Zwerggalaxien oder ferne Sternenscheiben: Alle Galaxien drehen sich um sich selbst – im Schnitt benötigen sie rund eine Milliarde Jahre für eine komplette Rotation. Doch ob und wie stark sich das Tempo innerhalb der Sternenscheibe verändert, hängt von der Masse und Massenverteilung der Galaxie ab. Den größten Effekt hat dabei die unsichtbare Dunkle Materie: Ihre Präsenz im galaktischen Halo beschleunigt die äußeren Galaxienbereiche und sorgt für eine innen und außen fast gleichschnelle Drehbewegung – so die Theorie.

Rotationskurve
Die Rotationskurve einer Galaxie wird vor allem von der Masse ihrer unsichtbaren Dunklen Materie bestimmt. In der hier abgebildeten Galaxie M332 zeigt die gestrichelte Kurve die nur auf Basis der stellaren Masse erwarteten Werte, die gelben und blauen Punkte zeige die tatsächliche Rotationsgeschwindigkeit. © Mario De Leo/ CC-by-sa 4.0

Wie rotiert unsere Milchstraße?

Doch wie sieht es mit der Rotation unserer Milchstraße aus? „Es ist ziemlich schwierig, eine Rotationskurve zu erstellen, wenn man innerhalb der Galaxie sitzt“, erklärt Erstautor Xiaowei Ou vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Denn wir können die Milchstraße nicht von außen betrachten und vermessen. Das macht die Messung der Sternenbewegung in unterschiedlichen Bereichen der galaktischen Scheibe komplizierter, weil die Sicht auf viele Bereiche verdeckt ist.

Dennoch ist dies möglich, unter anderem dank des europäischen Gaia-Teleskops, das in den letzten Jahren die Bewegung von Millionen Sternen kartiert hat. 2019 erstellten Astronomen auf Basis der Gaia-Daten eine Rotationskurve der Milchstraße, die bis etwa 81.000 Lichtjahre vom galaktischen Zentrum hinausreichte. Diese zeigte, ähnlich wie bei anderen Galaxien, eine relativ gleichmäßige Drehgeschwindigkeit – die Rotationskurve blieb bis in die Außenbereiche ziemlich flach und sank nur leicht ab. Allerdings blieb unklar, was noch weiter außen passiert.

33.000 Rote Riesen als Tempoanzeiger

Diese Frage haben nun Ou und sein Team geklärt. Für ihre Studie hatten sie die Bewegungen von mehr als 33.000 Roten Riesensternen aus dem jüngsten Gaia-Datenkatalog ausgewertet und durch erdbasierte Messungen aus dem APOGEE-Survey ergänzt. „Rote Riesen sind ideale Tracer für die galaktische Scheibe, weil sie sehr hell und groß sind“, erklären die Astronomen. Weil die Leuchtkraft dieser aufgeblähten Sterne eng mit ihrem Spektrum, ihrer Temperatur und dem Alter korreliert, lassen sich auch ihre Entfernungen gut bestimmen.

Die vermessenen Sterne decken erstmals Abstände von bis zu 100.000 Lichtjahren vom galaktischen Zentrum der Milchstraße ab. „Mit diesen Entfernungen erreichen wir den äußeren Rand unserer Galaxie“, sagt Seniorautorin Anna Frebel vom MIT. „Wie sich die Materie dort bewegt, hat zuvor noch niemand ermittelt.“ Auf Basis der relativen Bewegung der Sterne und ihrer Entfernung erstellten die Astronomen eine neue Rotationskurve für die Milchstraße.

Abruptes Absinken am Außenrand

Das Ergebnis ist überraschend: „Die Kurve blieb zwar bis zu einem bestimmten Abstand flach, aber dann fiel sie ab“, berichtet Koautorin Lina Necib vom MIT. „Das ist die Stelle, wo es merkwürdig wird.“ Demnach sinkt das Rotationstempo am Außenrand unserer Milchstraße nicht leicht und allmählich ab, sondern relativ abrupt und stärker als erwartet. Dieses Absinken zeigt sich etwa ab einem Abstand von rund 65.000 Lichtjahren vom Milchstraßenzentrum. „Die äußeren Sterne bewegen sich langsamer als gedacht, das ist überraschendes Ergebnis“, sagt Necib.

„Unser Resultat steht damit im Widerspruch zu früheren Messungen“, erklärt die Astronomin. Aber warum? Um das herauszufinden, ermittelte das Team als nächstes, wie die Verteilung der Massen und vor allem der Dunklen Materie in der Milchstraße aussehen muss, um diese Rotationskurve zu erzeugen. Dies verglichen sie mit gängigen Modellen der galaktischen Dunkle-Materie-Verteilung.

NFW- und Einasto-Modell
Dunkle-Materie-Dichte nach dem gängigen NFW-Modell und dem Einasto-Modell. Den neuen Daten zufolge passt die Milchstraße eher zu Letzterem.© ESA/Gaia/DPAC; W/ CC-by-sa 4.0

Weniger Dunkle Materie im Galaxienzentrum?

Es zeigte sich: Das Bewegungsmuster der Milchstraße lässt sich mit dem gängigsten Modell, dem sogenannten Navarro-Frenk-White-Profil (NFW) nicht nachbilden. Stattdessen muss die Verteilung der Dunklen Materie in unserer Galaxie eher dem konkurrierenden Einasto-Profil entsprechen, wie die Astronomen berichten. Konkret bedeutet dies, dass es offenbar weniger Dunkle Materie im Galaxienzentrum gibt als gedacht. „Möglicherweise müssen wir die Massenverteilung in unserer Galaxie neu überdenken“, so Necib.

Und nicht nur das: Auch die Gesamtmasse der Milchstraße könnte etwas geringer sein als bisher angenommen. Denn der Durchmesser, der in diese Massenkalkulationen eingerechnet wird, hängt eng von der Verteilung der Materiedichte in einer Galaxie ab. „Es ist sogar nicht auszuschließen, dass die Milchstraße eine Größenordnung weniger Masse umfasst als die Andromedagalaxie“, schreiben Ou und sein Team. Allerdings beruhe dies nur auf einer sehr vereinfachten Schätzung, wie sie einräumen.

„Es geht da etwas Seltsames vor „

Dennoch werfen die neuen Messungen Fragen auf. „Es geht da etwas Seltsames vor und es wirklich spannend, nun zu erforschen, was das ist“, sagt Necib. Denn noch können auch die Astronomen nicht erklären, warum ihre Werte von dem Erwarteten abweichen. „Wir werden weiter nach Antworten suchen, auch mithilfe von hochauflösenden Simulationen von Milchstraßen-ähnlichen Galaxien“, so Necib. (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 2024; doi: 10.1093/mnras/stae034)

Quelle: Massachusetts Institute of Technology

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