Astronomie

Milchstraße: Schwarzes Loch durchlebte Verschmelzung

Kollision vor neun Milliarden Jahren erklärt ungewöhnliche Rotation und Neigung von Sagittarius A*

Sagittarius A*
Das zentrale Schwarze Loch der Milchstraße verdankt seine heutige Größe, Rotation und Neigung einer Verschmelzung mit einem zweiten, kleineren Schwarzen Loch. © International Gemini Observatory/NOIRLab/NSF/AURA, J. da Silva/(Spaceengine)

Kollision der Giganten: Das zentrale Schwarze Loch der Milchstraße verdankt seine heutigen Merkmale einer Verschmelzung – es ist vor rund neun Milliarden Jahren mit einem zweiten supermassereichen Schwarzen Loch kollidiert, wie Astronomen entdeckt haben. Demnach vereinten sich bei der Kollision der Milchstraße mit der Zwerggalaxie Gaia-Enceladus auch die Schwarzen Löcher beider Galaxien. Diese Verschmelzung erklärt, warum Sagittarius A* heute schneller rotiert als erwartet und gegenüber der Galaxienebene gekippt ist, wie das Team in „Nature Astronomy“ berichtet.

Im Herzen der Milchstraße liegt das supermassereiche Schwarze Loch Sagittarius A*. Dieses rund vier Millionen Sonnenmassen schwere Schwarze Loch ist heute zwar inaktiv, doch gewaltige Blasen und „Schornsteine“ aus schnellen Gasen und Gammastrahlen zeugen von vergangenen Ausbrüchen und Aktivität. Aufnahmen und Daten des Event Horizon Telescope (EHT) haben zudem enthüllt, dass Sagittarius A* unerwartet schnell rotiert und dabei gegen die Galaxienebene gekippt ist.

EHT-Aufnahme von Sagittarius A*
Diese EHT-Aufnahme zeigt Sagittarius A* und die Polarisation seines Lichtrings. Diese und weitere Merkmale erlauben Rückschlüsse auf Rotation und Neigung des Schwarzen Lochs.© EHT Collaboration

Widerspruch zu Wachstumsmodellen

Das Überraschende daran: „Wenn diese Daten stimmen, dann steht diese Rotation von Sagittarius A* im Widerspruch zu den Modellen des Wachstums supermassereicher Schwarzer Löcher durch Akkretion“, erklären Yihan Wang und Bing Zhang von der University of Nevada. Denn nach diesen zehren die zentralen Schwarzen Löcher von dem Material ihrer Wirtsgalaxie und bewegen sich dadurch etwa gleichschnell und auf derselben Ebene wie diese.

Doch das ist bei Sagittarius A* nicht der Fall. Auf der Suche nach einer Erklärung haben die Astronomen die EHT-Daten noch einmal genauer analysiert und auf ihrer Basis mehrere Simulationen durchgeführt. In diesen testeten sie, welches Szenario das heutige Verhalten unseres zentralen Schwarzen Lochs am besten erklären kann.

Verschmelzung im Massenverhältnis 4:1

Das Ergebnis: „Die Akkretionsmodelle sind nicht ausreichend, um die vom EHT beobachteten Eigenschaften des Schwarzen Lochs zu rekonstruieren“, berichten Wang und Zhang. Stattdessen muss Sagittarius A* eine Verschmelzung mit einem zweiten massereichen Schwarzen Loch erlebt haben. Dieses war nur rund ein Viertel so schwer wie Sagittarius A* und muss fast senkrecht zum Schwarzen Loch der Milchstraße orientiert gewesen sein, wie das Team ermittelte.

„Diese Verschmelzung veränderte das Tempo und die Ausrichtung, mit der Sagittarius A* rotiert, dramatisch“, sagt Wang. Der kleinere Partner bei dieser 4:1-Kollision der Schwarzen Löcher bildete ursprünglich das Zentrum einer größeren Zwerggalaxie, die mit der Milchstraße kollidierte. Dabei bewegte sich diese kleinere Galaxie quer zur unsrigen und rotierte wahrscheinlich in entgegengesetzter Richtung, wie die Astronomen ermittelten.

Milchstraßen-Kollision
Vor rund zehn Milliarden Jahren kollidierte die Gaia-Enceladus-Zwerggalaxie (oben) mit unserer Milchstraße. Rund eine Milliarde Jahre später verschmolzen auch die Schwarzen Löcher beider Galaxien.© Carnegie Mellon University

Kollisionspartner stammte aus der Gaia-Enceladus-Zwerggalaxie

Die Daten verraten sogar, wann diese Verschmelzung erfolgt sein muss – und passen gut zur bereits bekannten Geschichte der Milchstraße. Nach dieser erlebte unsere Heimatgalaxie vor rund zehn Milliarden Jahren ihre schwerste Kollision, als sie mit ihrer Nachbargalaxie Gaia-Enceladus zusammenstieß. „Diese Verschmelzung hatte ein 4:1-Massenverhältnis und eine Neigung von 145 bis 180 Grad in Bezug auf unsere Sichtlinie“, erklären die Astronomen.

Damit hatte diese Kollision genau die Merkmale, die das heutige Verhalten von Sagittarius A* am besten erklären können, so das Team „Die Galaxienverschmelzung dauerte rund eine Milliarde Jahre und begann vor rund zehn Milliarden Jahren“, berichten Wang und Zhang. „Daraus ergibt sich, dass Sagittarius A* vor rund neun Milliarden Jahren mit dem Schwarzen Loch von Gaia-Enceladus verschmolz.“ Nachdem die Folgen dieser galaktischen Karambolage abgeklungen waren, pendelten sich Rotation und Neigung von Sagittarius A* in die heute beobachteten Werte ein.

Hierarchische Verschmelzungen

„Diese Entdeckung gibt uns neue Einblicke in die dynamische Geschichte unserer Galaxie“, schreiben Wang und Zhang. „Gleichzeitig bestätigt sie die Theorie, nach der Schwarze Löcher durch solche hierarchischen Verschmelzungen wachsen und sich entwickeln“, erklären die Forscher. Schon häufiger haben Astronomen Paare supermassereicher Schwarzer Löcher in fernen Galaxien beobachtet – Giganten-Duos kurz vor ihrer Verschmelzung. Die Gravitationswellen-Detektoren LIGO, Virgo und KAGRA haben zudem schon mehr als hundert Verschmelzungen kleiner, stellarer Schwarzer Löcher detektiert.

Wie jedoch die Kollision zweier supermassereicher Schwarzer Löcher wie Sagittarius A* und seinem Gaia-Enceladus-Partner abläuft, wurde bisher noch nie direkt beobachtet. Die Astronomen gehen jedoch davon aus, dass künftige, weltraumgestützte Gravitationswellen-Detektoren wie die Laser Interferometer Space Antenna (LISA) solche Verschmelzungen detektieren können. (Nature Astronomy, 2024; doi: 10.1038/s41550-024-02358-w)

Quelle: University of Nevada, Las Vegas

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