Kollision nicht ausgeschlossen: Ein gewaltiger Gasstrom erstreckt sich zwischen den beiden Magellanschen Wolken und der Milchstraße – er ist schon lange bekannt. Doch wie sich nun zeigt, könnte dieser Magellansche Strom uns fünfmal näher sein als gedacht. Das bedeutet auch, dass der riesige Bogen aus Gas und Sternen künftig mit der Milchstraße kollidieren könnte – allerdings erst in rund 50 Millionen Jahren. Schon deutlich früher aber könnte das Gas mit dem Halo unserer Galaxie wechselwirken.
Die Große und Kleine Magellansche Wolke sind die nächsten Nachbarn unserer Milchstraße – sie verbindet schon eine Milliarden Jahre alte Geschichte. Sowohl die Milchstraße wie die Magellanschen Wolken könnte dabei Kollisionen mit kleineren Zwerggalaxien erlebt haben. Schwerkraft-Wechselwirkungen sorgten zudem dafür, dass sich die Nachbarn immer wieder gegenseitig Gas und Sterne „klauten„.
Rätsel um Alter und Ursprung
Ein Zeugnis der turbulenten Vergangenheit des Galaxientrios ist der Magellansche Strom – ein riesiges Band aus Gas und Sternen, das beide Wolken verbindet und fast halb so lang ist wie die Milchstraße. Doch wie und wann dieses Band entstanden ist, bleibt unklar. „Der Ursprung des Magellanschen Stroms ist seit rund 50 Jahren ein Rätsel“, sagt Erstautor Scott Lucchini von der University of Wisconsin-Madison. Ebenso strittig ist bislang, wie alt und wie weit entfernt dieser Gasstrom von uns ist.
Eine Antwort könnte nun Lucchini und sein Team mithilfe neuer Modellsimulationen gefunden haben. Als Basis dafür nutzten sie neuere Daten, nach denen die beiden Magellanschen Wolken von einer Art Corona aus warmem, ionisiertem Gas umgeben sind. „Zusammen mit dem heißem zirkumgalaktischen Medium der Milchstraße spielen die hydrodynamischen Effekte dieser Corona eine signifikante Rolle für die vergangenen Bewegungen der beiden Wolken“, erklären die Astronomen.
Fünfmal näher als gedacht
Tatsächlich hatte das Einfügen der Corona in die Simulationen dramatische Folgen: „Die ganze orbitale Geschichte der Wolken änderte sich“, berichtet Lucchini. Demnach kam es vor rund 1,4 Milliarden Jahren zu einer engen Annäherung beider Zwerggalaxien, bei der ein Großteil des Materials für den Magellanschen Strom aus der Kleineren der beiden Wolken herausgerissen wurde. Anders als in früheren Modellen bewegte sich die Kleine Magellansche Wolke dabei gegen den Uhrzeigersinn an der großen Nachbarin vorbei.
Das hat erhebliche Folgen für die Ausrichtung des resultierenden Gasstroms: „Frühere Simulationen ergaben einen Gasstrom, der von der Milchstraße und den Wolken wegzeigt“, schreiben die Astronomen. „Unsere Rekonstruktion resultiert dagegen in einem auf uns zu gerichteten Strom, der bis auf 65.000 Lichtjahre an die Sonne herankommt.“ Damit könnte der riesige Bogen aus Gas und Sternen uns fünfmal näher sein als zuvor angenommen.
Weniger Masse und Dichte
Sollte der Magellansche Strom uns wirklich so viel näher sein, hätte dies gleich mehrere Konsequenzen. Zum einen könnten einige seiner Sterne hell genug sein, um direkt beobachtet zu werden. „Bisher galten sie dafür als zu lichtschwach und weit weg, aber jetzt sehen wir, dass der Strom fast schon am Außenrand der Milchstraße liegt“, sagt Lucchini.
Zum anderen bedeutet dies, dass die bisherigen Schätzungen von Masse und Dichte des Magellanschen Stroms wahrscheinlich falsch liegen. „Durch die veränderte Entfernung müssen nun auch einige Merkmale revidiert werden“, erklärt Koautor Andrew Fox vom Space Telescope Science Institute in Baltimore. Demnach hat der Gasstrom wahrscheinlich nur ein Fünftel der bisher geschätzten Masse.
Künftige Kollision mit der Milchstraße
Auch für den Magellanschen Strom selbst hat die größere Nähe Folgen: „Sie könnte zu einer dramatisch kürzeren Lebensdauer des Stromes führen“, erklären die Astronomen. Der Gasstrom wird demnach der Milchstraße in rund 50 Millionen Jahren so nahe kommen, dass unsere Galaxie ihm größere Mengen Gas abzieht. „Er könnte aufgrund seines Annäherungswinkels sogar direkt mit der Scheibe der Milchstraße kollidieren“, so Lucchini und seine Kollegen. Das könnte einen neuen Schub der Sternbildung in unserer Heimatgalaxie auslösen. (The Astrophysical Journal Letters, 2021; doi: 10.3847/2041-8213/ac3338)
Quelle: University of Wisconsin-Madison