Weder Stern noch Gaswolke: Astronomen haben im Zentrum der Milchstraße eine ganz neue Klasse von kosmischen Objekten entdeckt. Sie sehen aus wie Gaswolken, sind aber kompakt wie Sterne. Weil diese G-Objekte dem Schwarzen Loch immer wieder sehr nahe kommen, könnten sie eine entscheidende „Futterquelle“ für seine Aktivität sein – und möglicherweise auch die jüngsten Strahlenausbrüche erklären, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Die Vorgeschichte der Entdeckung beginnt im Jahr 2011, als die kosmische Gaswolke G2 direkt auf das Schwarze Loch im Milchstraßenzentrum zuzusteuern schien. Im Frühjahr 2014 kam diese Wolke aus Wasserstoff und Helium dem Schwerkraftgiganten so nahe , dass dieser sie hätte zerreißen müssen. Doch die Zerstörung blieb merkwürdigerweise aus: G2 verlor zwar etwas Gas, blieb aber als kompaktes Objekt erhalten.
Rätsel um „unkaputtbare“ Wolke
Für die Astronomen war dies unerklärlich, denn eine normale Gaswolke hätte diese Passage am Schwarzen Loch nicht überstehen dürfen. Was also war G2? „G2 hatte eine wirklich merkwürdige Signatur“, berichtet Andrea Ghez von der University of California in Los Angeles. Denn obwohl sich das Objekt wie eine Gaswolke verhielt und reichlich Gas verlor, blieb es im Kern intakt.
Schon damals vermuteten die Astronomen, dass sich im Inneren der vermeintlichen Gaswolke vielleicht ein kompaktes Objekt verbirgt – ein junger Stern oder vielleicht sogar einer, der gerade erst aus einer Verschmelzung hervorgegangen ist. Denn bei diesem Prozess bläht sich das Konglomerat oft stark auf – und ähnelt so von außen betrachtet ein wenig einer Gaswolke. Doch das blieb zunächst nur Spekulation.
Vier weitere G-Objekte entdeckt
Jetzt jedoch zeigt sich: G2 ist kein Einzelfall. Denn Ghez und sein Team haben in den Infrarot-Beobachtungsdaten des W.M. Keck Observatoriums auf Hawaii noch vier weitere Objekte im Zentrum der Milchstraße entdeckt, die G2 verblüffend ähneln. Auch sie ähneln auf den ersten Blick Gaswolken, besitzen aber eine Strahlungssignatur, die auf ein deutlich kompakteres Objekt hindeutet.
„Diese Objekte sehen aus wie Gas, aber verhalten sich wie Sterne“, so Ghez. Wie G2 umkreisen die G3, G4, G5 und G6 getauften Objekte das zentrale Schwarze Loch auf exzentrischen, engen Umlaufbahnen. Und ähnlich wie die vermeintliche Gaswolke kommen auch die anderen G-Objekte dem Schwarzen Loch immer wieder sehr nahe – und werden dabei extrem gedehnt.
„Unserer Analysen zeigen, dass die neuen Objekte viele Merkmale mit G2 teilen – genügend, um sie als Mitglieder einer gemeinsamen neuen Klasse von Objekten zu betrachten“, berichten die Forscher.
Doppelsterne nach der Verschmelzung?
Doch was sind diese ungewöhnlichen G-Objekte? Wie die Spektralanalysen ergaben, geben alle G-Objekte auffallend rote, langwellige Strahlung ab. „Das deutet darauf hin, dass sie wahrscheinlich von Staub umhüllt sind“, sagen die Astronomen. Gleichzeitig aber zeigen diese Objekte auch typische, relativ konzentrierte Wasserstoff-Spektralsignaturen. Nach Ansicht von Ghez und seinem Team stützt dies ihre frühere Hypothese, nach dem es sich hier um junge Sterne im Prozess der Verschmelzung handelt.
Schon länger ist bekannt, dass es im galaktischen Zentrum viele Doppelsterne gibt. Weil sie dort immer wieder den starken Gezeitenkräften des Schwarzen Lochs ausgesetzt sind, kann dies zu einer Destabilisierung ihrer Umlaufbahnen führen, erklären die Forscher. Als Folge nähern sich beide Sternenpartner an und verschmelzen schließlich miteinander. Während dieses mehr als eine Million Jahre dauernden Prozesses und auch danach sind diese Sterne von Staub und Gas umhüllt und stark aufgebläht – so wie die G-Objekte.
„Die Art, wie Doppelsterne miteinander und mit einem Schwarzen Loch interagieren ist ganz anders als bei Einzelsternen“, erklärt Ghez.
Erklärung für Strahlenausbrüche des Schwarzen Lochs?
Interessant auch: Die G-Objekte könnte möglicherweise erklären, warum unser zentrales Schwarzes Loch im Moment ungewöhnlich aktiv ist. Denn sie könnten das Futter liefern, das diese Strahlenausbrüche antreibt. „Das Material, das ihnen durch die Gezeitenkräfte entrissen wird, muss unweigerlich in das Schwarze Loch stürzen“, erklärt Ghez‘ Kollege Mark Morris. „Wenn das geschieht, erzeugt dies ein beeindruckendes Feuerwerk, weil das Material starke Strahlung aussendet, bevor es den Ereignishorizont überquert.“
Noch benötigen die Astronomen weitere Daten, um dieses Szenario zu untermauern. Schon jetzt aber belegen ihre Beobachtungen, dass die vermeintliche Gaswolke G2 kein Einzelfall war, sondern Teil einer ganzen Population exotischer Objekte im Milchstraßenzentrum. Die Forscher haben neben den vier neuentdeckten G-Objekten bereits einige weitere Kandidaten für diese neue Objektklasse aufgespürt. (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-019-1883-y)
Quelle: University of California – Los Angeles