Unser Mond könnte weit schneller entstanden sein als gedacht – in wenigen Stunden statt Jahren oder Jahrhunderten. Indizien dafür liefert die bisher am höchsten aufgelöste Simulation der mondbildenden Kollision vor rund 4,5 Milliarden Jahren. Demnach schleuderte der Aufprall des Protoplaneten Theia einen großen, nur halbgeschmolzenen Brocken aus der Urerde heraus, aus dem dann der Mond wurde. Dieses Szenario könnte gleich mehrere lunare Eigenheiten erklären, so das NASA-Team.
Der Erdmond entstand, als die junge Erde vor rund 4,5 Milliarden Jahren von einem marsgroßen Protoplaneten gerammt wurde – darüber herrscht Einigkeit. Weit weniger klar ist allerdings, wie die Mondbildung genau vonstatten ging. Nach dem klassischen Szenario bildeten die Trümmer des Protoplaneten und das ausgeschleuderte Erdmaterial erst einen Trümmerring um die lädierte Erde, dann ballte sich daraus allmählich der Erdtrabant zusammen.
Das Problem nur: Dieses Szenario passt nicht zur geneigten Mondbahn und auch nicht zu der fast identischen isotopischen Zusammensetzung von Erde und Mond. Denn wo ist dann der Rest des Protoplaneten Theia geblieben? Einige Planetenforscher postulieren, dass auch die Erde bei der Kollision fast vollständig verdampfte und ihre heutige Gesteinshülle deshalb ebenfalls aus der gleichen Isotopenmischung wie der Mond besteht. Andere vermuten, dass sich der Rest von Theia in den Tiefen des Erdmantels verbirgt. Allerdings können diese Modelle nicht erklären, warum der Mondorbit geneigt ist und woher das System seinen anfänglich relativ hohen Drehimpuls bekommen hat.
Kollision mit 100-fach höherer Auflösung
Deshalb hat nun ein Team um Jacob Kegerreis vom Ames Research Center der NASA das Geschehen noch einmal anhand einer Simulation analysiert. „Die meisten früheren Mond-Simulationen umfassten 100.000 bis eine Million Partikel, aber diese Auflösungen können einige Kernmerkmale großer Einschläge wie die planetare Rotationsperiode oder die Masse des ausgeschleuderten Trümmer nicht schlüssig abbilden“, so die Forschenden. Sie nutzten deshalb 100 Millionen Partikel von jeweils 14 Kilometer Größe und zehn Billionen Tonnen Masse als Grundlage.
Für ihre Rekonstruktion ließen Kegerreis und sein Team einen virtuellen Protoplaneten in unzähligen leicht unterschiedlichen Szenarien auf die simulierte Urerde prallen. Im Laufe der rund 400 Durchgänge variierten sie den Aufprallwinkel, die Massen, Temperaturen und Rotation der beteiligten Himmelskörper sowie de Einschlagsgeschwindigkeit. Dabei beobachteten sie, welche Bahnen, Form und Masse die ausgeschleuderten Kollisionstrümmer zeigten.
Riesenbrocken statt Trümmerring
Das überraschende Ergebnis: Wenn der Protoplanet etwa im 45-Grad-Winkel auf die Erde trifft – was der gängigen Annahme entspricht – kann er große, nur halbgeschmolzene Brocken ins erdnahe All schleudern, wie die Simulationen ergaben. Dabei löst sich von dem ersten größeren Objekt ein zweiter Brocken ab und wird wie von einer Schleuder in einen weiter außen liegenden Orbit katapultiert. „Der innere Rest überträgt Drehimpuls auf den Satelliten, bevor er selbst wieder zur Erde zurückfällt“, berichten Kegerreis und sein Team.
Schon etwa fünf Stunden nach der Kollision hat sich der äußere Brocken in einer fast kreisförmigen Erdumlaufbahn im Abstand von rund sieben Erdradien stabilisiert. Durch das Wegschleudern aus dem ersten Brocken ist seine Bahn gegen den Erdäquator geneigt. Der so gebildete Trabant hat zudem knapp 70 Prozent der heutigen Mondmasse und erklärt damit die ungewöhnliche Größe des Erdmonds, wie die Forschenden erklären.
Eisenkern und irdische Hülle
Der Clou dabei: Weil die großen Trümmerbrocken nur halbgeschmolzen sind, wird ihr Material nicht gleichmäßig durchmischt. Sie bestehen zwar zu rund 30 bis 40 Prozent aus Erdmaterial, dieses liegt aber vorwiegend an der Oberfläche. „Die meisten in den Simulationen erzeugten Trabanten zeigen einen starken Gradienten in Bezug auf ihre Materialherkunft“, berichtet das Team. „Dabei besteht das Innere hauptsächlich aus Theia-Material, das unter einer Hülle mit nach außen hin zunehmendem Anteil von Mantelgestein der Protoerde liegt.“
Der resultierende Mond hat dadurch eine äußere Gesteinshülle, die zu rund 60 Prozent aus Erdgestein besteht – das würde die gemessenen Isotopen-Übereinstimmungen zur Erde erklären. Der Eisenanteil lag je nach Simulationsdurchgang bei 0,1 bis drei Prozent. Das stimme gut mit dem tatsächlichen Massenanteil des lunaren Eisenkerns von rund einem Prozent überein, so das Team. Insgesamt könnte das Szenario damit einige der bisher ungeklärten Fragen zu den lunaren Eigenheiten beantworten.
Neue Mondproben könnten Bestätigung liefern
„Dies eröffnet ganz neue Möglichkeiten für die Bildung und Entwicklung des Mondes“, sagt Kegerreis. „Wir haben dieses Projekt angefangen, ohne genau zu wissen, was bei diesen hochauflösenden Simulationen herauskommen würde. Die Ergebnisse zeigen nicht nur, dass Standardauflösungen irreführende Antworten liefern können, sie enthüllen auch, wie ein mondähnlicher Trabant in den Orbit gekommen sein könnte.“
Ob das neue Szenario zutrifft, könnten unter anderem zukünftige Mondmissionen im Rahmen des Artemis-Programms zeigen. Bei diesen werden Astronauten Gesteins- und Bohrproben aus zuvor nicht beprobten lunaren Regionen zur Erde zurückbringen. Deren Zusammensetzung könnte dann mehr darüber verraten, wie der Erdmond zustande kam. (The Astrophysical Journal Letters, 2022; doi: 10.3847/2041-8213/ac8d96)
Quelle: NASA