Lunares Paradox: Eigentlich war der junge Mond zu klein und kühl, um ein starkes Magnetfeld zu erzeugen. Trotzdem war sein Magnetfeld früher sogar stärker als das der Erde. Wie dies möglich war, könnten US-Forscher nun herausgefunden haben. Demnach sanken in der lunaren Frühzeit mehrfach riesige, erstarrte Krustenteile ins Mondinnere hinab. Dort stießen sie Konvektionsströme im Mondkern an, die kurzzeitig als Magnet-Dynamo fungierten.
Die Erde ist schon seit ihrer Frühzeit von einem starken Magnetfeld abgeschirmt. Dessen Motor ist die elektromagnetische Wechselwirkung von flüssigem und festem Eisen im Erdkern – der Geodynamo. Doch wie sieht es beim Mond aus? Er hat zwar heute kein Magnetfeld mehr, aber Gesteinsproben der Apollo-Mondmissionen belegen, dass dies bis vor rund 3,5 Milliarden Jahren anders war. Sie liefern Indizien für lunare Magnetfeldstärken von 40 bis 120 Mikrotesla – und damit sogar einem weit stärkeren Feld als es die heutige Erde besitzt.
Es gibt sogar Hinweise darauf, dass der junge Mond damals sein Magnetfeld mit der Erde teilte und so unserem Planeten einen zusätzlichen Schutz vor harter, kosmischer Strahlung verlieh.
„Unmöglich“ stark und verblüffend variabel
Doch wie kann das sein? Eigentlich ist der Mond viel zu klein, um so hohe Magnetintensitäten zu produzieren. Selbst in seiner heißen Frühzeit hätte der Mondkern gängiger Theorie nach keine ausreichend starken Konvektionsströmungen ausbilden können. „Die aus dem Mondgestein abgeleiteten Magnetintensitäten würden tausendfach mehr Energie erfordern als möglich“, erklären Alexander Evans von der Brown University und Sonia Tikoo von der Stanford University.
Und noch etwas ist seltsam: Die Apollo-Mondproben weisen eine extreme Bandbreite von Magnetisierungen auf – dies gilt selbst für Gesteine aus der lunaren Frühzeit. Einige dieser Brocken deuten auf ein starkes Mondmagnetfeld hin, andere hingegen sind gar nicht magnetisiert. Dies brachte die Forschenden auf eine Idee: „Statt darüber zu grübeln, woher die Energie für ein anhaltend starkes Mondmagnetfeld kam, gibt es vielleicht einen Mechanismus, der zumindest kurze Phasen mit hoher Feldintensität erklären kann“, so Evans.
Zeitreise zum erstarrenden Mond
Einen solchen Mechanismus haben Evans und Tikoo mithilfe von Modellsimulationen näher untersucht. Als die Oberfläche des jungen, noch glutflüssigen Mondes vor rund 4,25 Milliarden allmählich abkühlte, begannen die verschiedenen mineralischen Bestandteile nacheinander zu erkalten. Dabei sanken dichtere, schwerere Minerale ins Innere ab, leichtere bildeten hingegen die erstarrende Kruste.
Dann folgte der für das Mondmagnetfeld möglicherweise entscheidende Schritt: Unter der lunaren Kruste sammelten sich titanhaltige Minerale, die eine höhere Dichte aufwiesen als die darunterliegenden Schichten des Mantels. Als diese Minerale ebenfalls abkühlten, sanken sie als große, zähflüssige Klumpen durch den lunaren Mantel bis an die Kerngrenze ab. „Unserem Modell zufolge könnten dabei bis zu 60 Kilometer große Klumpen dieser titanreichen Diapire entstanden und abgesunken sein“, berichten Evans und Tikoo.
Kühle Klumpen als Konvektions-Turbo
Am Mondkern angelangt, wirkten diese 1.100 bis 1.300 Grad heißen Klumpen wie eine kalte Dusche für den bis zu tausend Grad heißeren Kern. „Man kann sich das vorstellen wie ein kalter Wassertropfen auf einer heißen Herdplatte“, erklärt Evans. Der starke Temperaturunterschied führte dazu, dass an dieser Stelle vermehrt Wärme aus dem Kern in den kühlen Mantelgesteins-Klumpen überging. „Dies wiederum verstärkte die Konvektionsströmungen im Kern“, so Evans.
Je stärker jedoch die Kernströmungen sind, desto stärker wird auch das von ihnen erzeugte Magnetfeld. Dieser zusätzliche Antrieb hält dabei so lange an, bis der kühlere Mantelgesteins-Klumpen die Temperatur seiner Umgebung angenommen hat. Im Prinzip wirkten die abgesunkenen Mantelklumpen damit wie ein stotternder Motor für den Magnetdynamo im Mondkern.
Dem Modell zufolge hätten schon 100 solcher titanreichen Klumpen ausgereicht, um das Mondmagnetfeld jeweils für mehrere hundert Jahre auf 50 Mikrotesla und mehr zu bringen. Erst als dann vor rund 3,5 Milliarden Jahren das Mondinnere noch weiter abgekühlt war, hörte das Absinken der Klumpen auf – und damit schwächte sich auch der lunare Magnetdynamo allmählich ab.
Gute Übereinstimmung mit den Beobachtungen
„Unser Modell kann damit sowohl die Intensität als auch die große Variabilität der Apollo-Mondproben erklären – das ist etwas, was bisher noch kein anderes Modell konnte“, sagt Evans. „Gleichzeitig stimmt dies gut mit dem überein, was wir über das Mondinnere wissen.“ Tatsächlich legen Messdaten nahe, dass heute bis zu 530 Kubikkilometer titanreiches Mantelgestein eine rund 200 Kilometer dicke Schicht um den Mondkern bilden. Sie könnten das Relikt der frühen Mantelmineral-Klumpen sein.
Sollte sich dieses Szenario bestätigen, dann wäre das Paradox des lunaren Magnetfelds gelöst. Denn der Mondkern war zwar tatsächlich zu klein, um von sich aus starke Konvektionsströmungen und damit hohe Magnetfeldstärken zu erzeugen. Aber die lokalen Kälteschübe der absinkenden Mantelklumpen wirkten immer wieder wie ein kurzzeitiger Turbo – und sorgten vorübergehend für „unmöglich“ hohe Feldstärken. (Nature Astronomy, 2022; doi: 10.1038/s41550-021-01574-y)
Quelle: Brown University