Stürmischer Sonderling: Ein riesiger dunkler Wirbelsturm auf den Neptun verblüfft die Astronomen, denn er verhält sich völlig anders als erwartet, wie nun Aufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops enthüllen. Statt vom Polargebiet zum Äquator zu ziehen und sich dort aufzulösen, machte der dunkle Sturm eine Kehrtwendung und legte sich einen kleineren Begleiter zu. Warum, ist bislang rätselhaft.
Der Eisriese Neptun ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich: Er besitzt ein chaotisches, vierpoliges Magnetfeld, könnte in seinem Inneren exotische Moleküle bergen und auf ihm toben die schnellsten Stürme des gesamten Sonnensystems. Seine gigantischen Wirbelstürme sind als helle oder dunkle Flecken in der bläulich schimmernden Atmosphäre des Planeten erkennbar.
Riesiger dunkler Wirbelsturm auf Südkurs
Doch einer dieser Stürme verhält sich merkwürdig. Der enorme dunkle Fleck wurde im September 2018 mit dem Weltraumteleskop Hubble aufgespürt – er ist erst der vierte dunkle Sturm auf dem Neptun seit 1993. Sein Durchmesser entspricht dem des gesamten Atlantischen Ozeans. Den Aufnahmen zufolge war dieser Wirbelsturm auf der Nordhalbkugel entstanden und driftete anschließend langsam Richtung Äquator.
Im Gegensatz zu den irdischen Wirbelstürmen sind die dunklen Stürme des Neptun keine Tief-, sondern Hochdruckgebiete. Sie rotieren deshalb auf der Nordhalbkugel im Uhrzeigersinn und werden von der Corioliskraft stabilisiert. Typischerweise ziehen diese Sturmwirbel in fast gerader Linie zum Äquator und lösen sich dort auf, weil die stabilisierende Corioliskraft dort wegfällt – soweit die Theorie.
Abrupter Stopp und Kehrtwende
Abe der aktuelle dunkle Sturm denkt offenbar nicht daran, den Modellen der Planetenforschern zu folgen. Wie aktuelle Aufnahmen des Hubble-Teleskops enthüllen, hat der Wirbelsturm im Januar 2020 seine Wanderung gestoppt und seit August 2020 bewegt er sich wieder zurück in Richtung Norden, statt weiter zum Äquator zu ziehen.
„Das war wirklich überraschend: Erst verhält er sich ganz normal und dann stoppt er einfach und kehrt um“, berichtet Michael Wong von der University of California in Berkeley. Ein solches Verhalten habe man zuvor noch nie bei einem Neptunsturm beobachtet. Ebenfalls merkwürdig: Zu der Zeit, als der Sturm sein abweichendes Verhalten begann, war plötzlich neben ihm ein weiterer dunkler Fleck zu erkennen. Dieser lag auf der Südseite des größeren Wirbelsturms und war etwas kleiner.
Zweiter Sturm oder Fragment?
„Als ich diesen kleineren dunklen Fleck sah, dachte ich zuerst, dass der große Sturm zerfallen ist“, erklärt Wong. „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass hier ein weiterer Wirbelsturm entstanden sein soll, denn der kleine liegt schon sehr nahe am Äquator – und damit in einer instabilen Region.“ Bisher allerdings ist unklar, ob der kleinere dunkle Fleck ein Fragment des größeren Sturms ist oder aber ein neu entstandener Sturmwirbel.
Noch ist die Ursache des kleineren Flecks ein völliges Rätsel. Weil er aber zu dem Zeitpunkt auftauchte, als auch der große dunkle Sturm sein Verhalten änderte, sehen die Forscher einen potenziellen Zusammenhang. „Diese Beobachtungen sind spannend, weil dieses kleinere dunkle Fragment möglicherweise Teil des Zerfallsprozesses ist“, sagt Wong. „Vielleicht war es das Abtrennen dieses Fragments, das den großen dunklen Sturm bei seiner Südwanderung gestoppt hat.“
In jedem Falle ist dieses Phänomen etwas völlig Neues: „Das ist ein Prozess, der noch nie zuvor beobachtet wurde“, so Wong. „Wir haben zwar schon ein paar andere dunkle Flecken verblassen und verschwinden sehen, aber noch nie einen Zerfall.“ Die Wissenschaftler wollen nun weiter beobachten, was auf dem fernen Neptun mit den dunklen Stürmen passiert.
Quelle: Space Telescope Science Institute