Sonnensystem

Neptun: Rätsel des „unmöglichen“ Mondes gelöst

Neuentdeckter Mond Hippocamp entstand aus Einschlagstrümmern seines Nachbarn

Hippocamp
Der winzige Neptunmond Hippocamp (vorne) ist ein Lazarus: Er entstand mehrfach neu aus Trümmern von Einschlägen im Neptunsystem. © NASA, ESA and J. Olmsted (STScI)

Eigentlich dürfte es ihn gar nicht geben: Der erst 2016 entdeckte 14. Mond des Neptun kreist nur knapp innerhalb der Bahn des 4.000-fach größeren Trabanten Proteus. Warum er trotzdem nicht von diesem angezogen und zerstört wurde, haben nun Forscher herausgefunden. Demnach entstand der kleine Mond Hippocamp aus Trümmern eines gewaltigen Einschlags auf Proteus – und könnte seitdem mehrfach zerstört und wieder zusammengeballt worden sein, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature“ berichten.

Die Neptun und seine Monde haben eine bewegte Geschichte hinter sich. Schon in der Frühzeit des Sonnensystems tauschte der Eisplanet den Platz mit seinem Nachbar Uranus und sorgte für Turbulenzen im Kuipergürtel. Wenig später fing er ein rund 2700 Kilometer großes Kuipergürtel-Objekt ein – aus ihm wurde der größte Neptunmond Triton. Dabei jedoch wurde ein Großteil der ursprünglichen Monde des Neptun zerstört, neue Trabanten entstanden aus den Trümmern, darunter die kleinen inneren Monde Naiad, Thalassa, Despina, Galatea und Larissa.

Neptunmonde
Umlaufbahnen der inneren Neptunmonde und des Triton. © NASA/ ESA, A. Feild (STScI)

Ein neuer Mond des Neptun

2016 jedoch wurde ein weiterer Vertreter der inneren Neptunmonde entdeckt: In Aufnahmen des Weltraum-Teleskops Hubble hatten Astronomen einen schwachen Lichtpunkt entdeckt, der knapp innerhalb des Proteus um den Neptun kreiste. Das S/2004 N 1 getaufte Objekt war aber zu klein und weit entfernt, um damals mehr herauszufinden.

Jetzt haben Mark Showalter vom SETI-Institute in Kalifornien und seine Kollegen neue Beobachtungsdaten und eine moderne Methode der Bildverarbeitung genutzt, um mehr über den neuentdeckten Mond zu erfahren. Mithilfe eines Algorithmus überlagerten sie dabei mehrere Aufnahmen des Weltraumteleskops Hubble so, dass der Mond und seine Bahn trotz begrenzter Belichtungszeit deutlich zu erkennen war.

Gleichzeitig schlagen die Forscher nun Hippocamp als neuen Namen für S/2004 N 1 vor – nach einem „Seepferd“ aus der griechischen Mythologie.

„Unmögliche“ Umlaufbahn

Das Ergebnis: Hippocamp ist tatsächlich der kleinste Mond des Neptun – sein Durchmesser beträgt nur 34 Kilometer. Das eigentlich Erstaunliche aber ist seine Umlaufbahn: Der Winzling kreist nur 12.000 Kilometer innerhalb von Proteus – einem Objekt mit der rund 4.000-fachen Größe und rund 1.000-fachen Masse. „Man würde nicht erwarten, einen so winzigen Mond direkt neben Neptuns größtem inneren Mond zu finden“, sagt Showalter.

Der Grund: Normalerweise hätte die Schwerkraft des großen Proteus den kleinen Hippocamp längst anziehen und zerstören müssen. Stattdessen ergaben die Berechnungen, dass der kleine Trabant seinem großen Nachbar früher sogar noch viel näher war. Weil jedoch Proteus etwas schneller nach außen driftet als Hippocamp, hat sich ihr Abstand vergrößert, wie die Forscher berichten.

Hippocamp und Proteus
Größenvergleich von Proteus und Hippocamp. © Mark R. Showalter/ SETI Institute

Aus Trümmern von Proteus entstanden

Wie aber ist dieses merkwürdige Verhalten zu erklären? Ein Indiz dafür liefert der Pharos-Krater auf Proteus – ein Einschlagsbecken, dass fast den halben Monddurchmesser einnimmt. „Dieser Krater ist ungewöhnlich groß in Bezug auf die Größe des Mondes. Das könnte darauf hindeuten, dass Proteus bei diesem Einschlag nur knapp einer Zerstörung entging“, sagen Showalter und seine Kollegen. Sie vermuten, dass diese kosmische Kollision vor mehreren Milliarden Jahren große Mengen an Gesteinstrümmern ausschleuderte – und damit möglicherweise den „Rohstoff“ für den kleinen Hippocamp.

„Ein Teil dieser Trümmer könnte sich in einem stabilen Orbit rund 1.000 bis 2.000 Kilometer innerhalb des Proteus angesammelt haben“, so die Forscher. Einige dieser Brocken ballten sich dann zu Hippocamp zusammen. Das könnte die große Nähe beider Monde, den Pharos-Krater und die geringe Größe von Hippocamp erklären. Sollte sich dieses Szenario bestätigen, wäre Hippocamp damit sozusagen das „Kind“ von Proteus.

Hippocamp als kosmischer „Lazarus“

Doch damit war die turbulente Geschichte von Hippocamp noch nicht zu Ende. Denn aus der Umlaufbahn des kleinen Mondes schließen die Forscher, dass er ähnlich wie seine inneren Nachbarn, im Laufe der Zeit mehrfach von eisigen Kometen getroffen wurde, aber immer wieder aus den Trümmern neu erstand – wie in kleiner Lazarus. Die Forscher schätzen, dass Hippocamp in den letzten vier Milliarden Jahren sogar schon neunmal „wiederauferstanden“ sein könnte.

„Basierend auf Schätzungen zur Kometenpopulation in dieser Gegend wissen wir, dass auch andere Monde des äußeren Sonnensystems von Kometen getroffen und zerschlagen wurden und sich dann wieder zusammenballten“, sagt Koautor Jack Lissauer vom Ames Research Center der NASA. (Nature, 2019; doi: 10.1038/s41586-019-0909-9)

Quelle: NASA, SETI Institute

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