Spannende Entdeckung: Astronomen haben in der Korona unserer Sonne eine nie zuvor gesehene Struktur entdeckt – ein dynamisches Netz aus verwobenen Plasmafäden. Diese nur im UV-Licht sichtbare Struktur liegt in der mittleren Schicht der solaren Atmosphäre und liefert entscheidende Hinweise zum Ursprung des langsamen Sonnenwinds, wie Forschende in „Nature Astronomy“ berichten. Demnach setzt die Interaktion dieses Plasmanetzes magnetische Energie frei, durch die die Sonnenwindteilchen beschleunigt werden.
Der Sonnenwind prägt das gesamte Sonnensystem: Er kann ganze Atmosphären ins All hinausreißen, Planetenoberflächen chemisch verändern und ihre Magnetfelder verformen. Gleichzeitig bildet der stetige Wind geladener Teilchen zusammen mit dem solaren Magnetfeld die schützende Heliosphäre um unser Sonnensystem. Doch so bedeutsam der Sonnenwind für unsere kosmische Heimat ist, so wenig geklärt ist sein Ursprung.
Neueren Messungen und Modellen zufolge scheint der schnelle, besonders energiereiche Anteil des Sonnenwinds von besonders heißen, magnetisierten Stellen in der Chromosphäre, der unteren Sonnenatmosphäre, zu entstehen. In diesen Zonen erscheint die solare Korona im UV-Licht dunkler. Woher jedoch der langsamere, stetige Anteil des Sonnenwinds kommt, war bisher unklar.
Erster Blick in die mittlere Korona
Jetzt liefert eine Entdeckung in der Sonnenkorona erste Hinweise auf den Ursprung des langsamen Sonnenwinds. Möglich wurde dies, weil die Forschenden um Pradeep Chitta vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen erstmals die komplette mittlere Korona im UV-Licht abbilden und untersuchen konnten. Diese rund 350.000 Kilometer über der Sonnenoberfläche beginnende Schicht war bisher ein blinder Fleck, weil Raumsonden und Sonnenobservatorien nur in tiefer- oder höherliegende Schichten blicken.
Erst drei neue Wettersatelliten des US-amerikanischen GOES-Systems haben nun erstmals den genaueren Blick auf die mittlere Sonnenkorona ermöglicht. Denn sie tragen zur Vorhersage des Weltraumwetters auch auf die Sonne gerichtete UV-Kameras an Bord. Chitta und sein Team haben nun die Daten ausgewertet, die diese Instrumente während einer speziellen Messkampagne gesammelt haben.
Verwobenes Netz aus Plasmafäden
Die Aufnahmen enthüllten erstmals eine komplexe, dynamische Struktur in dieser mittleren Schicht der Sonnenkorona. Oberhalb von Bereichen, in denen dunkle koronale Löcher an Zonen hoher Magnetaktivität grenzen, zeigten sich fädige, miteinander verwobene Plasmastrukturen in der Korona. „Wir beobachteten ständige Interaktionen und persistente Umbildungen in diesem koronalen Netz sowie die Bildung von hochgradig strukturierten und variablen Strömen von langsamem Sonnenwind über ihren Spitzen“, berichtet das Team.
Diese Beobachtungen, kombiniert mit Daten der NASA-Sonnenobservatorien SOHO und Solar Dynamics Observatory (SDO) enthüllten zudem, dass die Plasmafäden in diesem koronalen Netz offenbar Magnetfeldlinien folgen – und dass diese sich immer wieder kreuzen und miteinander wechselwirken. „Anfangs offenbar offene Magnetstrukturen nähern sich einander an und bilden dann geschlossenen Schleifen“, berichten Chitta und seine Kollegen. Bei solchen magnetischen Rekonnexionen wird Energie frei, wie Modelle schon früher gezeigt haben.
Motor des langsamen Sonnenwinds gefunden?
Damit könnten die Astronomen einen wichtigen Motor des langsamen Sonnenwinds entdeckt haben. Denn ihre Beobachtungen legen nahe, dass das neuentdeckte koronale Netz dazu beiträgt, die geladenen Teilchen des Sonnenwinds zu beschleunigen. „Wir gehen davon aus, dass sich die Architektur des Magnetfeldes auf den langsamen Sonnenwind überträgt und eine wichtige Rolle bei der Beschleunigung der Sonnenwindteilchen ins All spielt“, so Chitta.
Die Entdeckung des koronalen Netzes und der magnetischen Rekonnexionen in der mittleren Sonnenkorona passt zu Daten der Sonnensonden Parker Solar Probe und Solar Orbiter, die erst kürzlich erstmals magnetische „Switchbacks“ im Sonnenwind beobachtet hatten. Diese vorübergehenden Spitzkehren in den koronalen Magnetfeldlinien könnten ebenfalls von den dynamischen Umstrukturierungen des koronalen Netzes herrühren.
„Unsere Ergebnisse stützen die auf der Rekonnexion basierenden Modelle des langsamen Sonnenwinds“, schreiben Chitta und sein Team. Detaillierte Erkenntnisse über die Vorgänge in der mittleren Sonnenkorona erhoffen sich die Forschenden von weiteren Daten der zurzeit aktiven Sonnensonden, aber auch von künftigen Missionen. Denn einige der geplanten Sonden sollen Instrumente an Bord haben, die speziell die mittlere Korona ins Visier nehmen. (Nature Astronomy, 2022; doi: 10.1038/s41550-022-01834-5)
Quelle: Nature Astronomy, Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung