Neuzugang am Sternenhimmel: Astronomen haben einen bisher völlig unbekannten Teil der Milchstraße entdeckt. Hinter den dichten Staubwolken im Zentrum unserer Heimatgalaxie fanden sie eine Scheibe aus Sternen, die sich durch diesen Zentralbereich erstreckt. Diese neu entdeckten Sterne sind nach astronomischen Maßsstäben noch überraschend jung. Ihre Entdeckung liefert nun ein weiteres Puzzleteil für unser Verständnis von der Entwicklung unserer Milchstraße.
Das Zentrum unserer Milchstraße liegt hinter dichten Staubwolken verborgen, sichtbares Licht dringt kaum durch diesen Schleier. Im Infrarotbereich jedoch können Astronomen auch diesen versteckten Bereich unserer Heimatgalaxie beobachten. Mit dem VISTA-Teleskop der Europäischen Südsternwarte (ESO) wollen sie den Himmel bis ins feinste Detail kartieren. Das Teleskop in der Atacama-Wüste im Norden Chiles zeichnet dabei zu unterschiedlichen Zeiten Bilder von den zentralen Bereichen der Milchstraße im Infrarotbereich auf und wirft einen Blick hinter die Staubwolken.
Dünne Scheibe durch das glaktische Zentrum
In VISTA-Daten aus den Jahren 2010 bis 2014 fanden Astronomen um Istvan Dékány von der Pontifica Universidad Católica de Chile nun etwas Außergewöhnliches: Während sie hunderte von Kandidaten für eine spezielle Klasse von veränderlichen Sternen, die sogenannten Cepheiden, durchmusterten, entdeckten sie einen zuvor unbekannten Teil unserer Galaxie. Dieser hat die Form einer dünnen Scheibe junger Sterne quer durch den galaktischen Bulge, eine dichtgedrängte Masse von Sternen im Zentrum der Milchstraße.
„Dieser Bereich der Galaxis war bis zur Entdeckung durch unsere Durchmusterung völlig unbekannt“, sagt Koautor Dante Minniti von der Universidad Andres Bello in Santiago de Chile. Umso stolzer sind die Astronomen, dass das VISTA-Teleskop den neuen Bestandteil unserer Heimatgalaxie aufgespürt hat. „Diese Beobachtung ist eine beeindruckende Demonstration der unübertroffenen Fähigkeiten des VISTA-Teleskops, die extrem abgedunkelten galaktischen Regionen zu untersuchen, die von keiner anderen gegenwärtigen oder geplanten systematischen Durchsuchung erreicht werden können“, sagt Erstautor Dékány.
Pulsierende Sterne verraten Entfernungen
Ausgangspunkt für den besonderen Fund der Astronomen war die Entdeckung von 655 Cepheiden-Kandidaten. Veränderliche Sterne sind Sterne, die von der Erde aus gesehen Helligkeitsschwankungen aufweisen. Das besondere bei Cepheiden ist, dass sie ihre Helligkeit in einem streng periodischen Rhythmus ändern. Der Grund: Die Sterne dehnen sich periodisch aus und schrumpfen dann wieder – sie pulsieren. Für einen solchen Zyklus benötigen sie zwischen wenige Tage bis wenige Monate, währenddessen ändert sich ihre Helligkeit deutlich.
Hellere Cepheiden brauchen dabei länger um aufzuleuchten und wieder zu verblassen als dunklere. Dieser Zusammenhang ist in der Astronomie heute ein wichtiges Mittel zur Entfernungsmessung. Mit den Informationen über die Periodendauer und die Leuchtkraft eines Cepheiden können Wissenschaftler seine Distanz und damit auch die räumliche Position zu entfernten Objekten in der Milchstraße berechnen. Die Pulsationsperiode steht außerdem in direktem Zusammenhang mit dem Alter der Sterne.
Unerwartet jugendliche Cepheiden
Von den 655 Cepheiden identifizierte das Team um Studienautor Dékány 35 Sterne, die zur Unterklasse der klassischen Cepheiden gehören. Dies sind junge, helle Sterne, die sich von den üblichen, älteren Exemplaren im Zentrum der Milchstraße deutlich unterscheiden. Mithilfe der Daten konnten die Astronomen nicht nur Rückschlüsse auf die Entfernung dieser Sterne ziehen, sondern auch ihre unerwartete Jugend feststellen.
„Alle 35 klassischen Cepheiden, die entdeckt wurden, sind weniger als 100 Millionen Jahre alt“, sagt Minniti. „Die jüngsten dürften gerade einmal 25 Millionen Jahre alt sein, wenngleich wir nicht ausschließen können, dass es dort möglicherweise noch jüngere und hellere Cepheiden gibt.“
Stichhaltige Beweise und neue Fragen
Diese Erkenntnis ist den Forschern zufolge überraschend. Normalerweise geht man davon aus, dass der zentrale Bulge der Milchstraße aus einer enormen Anzahl von alten Sternen besteht. Das Alter der neu gefundenen Cepheiden liefere nun jedoch stichhaltige Beweise, dass es über die letzten 100 Millionen Jahre hinweg einen bislang unbestätigten, beständigen Vorrat an neu entstandenen Sternen innerhalb des Zentralbereichs der Milchstraße gegeben haben muss, so die Forscher der ESO.
Die neue Entdeckung stellt die Forscher aber auch vor neue Fragen. Sie wollen nun herausfinden, ob die Sterne etwa dort geboren wurden, wo sie sich heute befinden oder ob sie womöglich von weiter außerhalb stammen. Vom Verständnis der Eigenschaften der Cepheiden sowie ihrer Entwicklung versprechen sich die Forscher auch, die Entwicklung der Milchstraße und den Prozess der Galaxieentwicklung als Ganzes besser zu verstehen. (Astrophysical Journal Letters, 2015)
(ESO / Max-Planck-Institut für Astronomie, 28.10.2015 – DAL)