Astronomie

Neutronenstern mit Rotationsrekord

Sternenrest in Röntgendoppelstern dreht sich 42.960-mal pro Minute

Röntgendoppelstern
Ein Neutronenstern (links) saugt Materie von einem ihn eng umkreisenden Weißen Zwerg ab. In einem solchen System haben Astronomen eines der schnellsten rotierenden Objekte im bekannten Universum entdeckt. © Pitris/iStock; NASA

Rasender Sternenrest: Astronomen haben einen Neutronenstern mit rekordschneller Rotation entdeckt – der Sternenrest dreht sich 42.960-mal pro Minute um die eigene Achse. Damit ist dieser rund 26.000 Lichtjahre entfernte Neutronenstern das am schnellsten rotierende Objekt in einem Röntgendoppelstern und vielleicht sogar das schnellste überhaupt, wie das Team im „Astrophysical Journal“ berichtet. Ebenfalls rekordträchtig ist der enge Orbit des Partnersterns, einem Weißen Zwerg: Er benötigt nur elf Minuten für einen Umlauf um den Neutronenstern.

Neutronensterne sind die ultradichten Überreste massereicher Sterne nach deren Supernova. Sie sind oft nur wenige Kilometer groß, wiegen aber meist mehr als unsere Sonne. Entsprechend groß ist ihre Gravitation: Sind diese Neutronensterne Teil eines Doppelsystems, saugen sie ihren Partnersternen oft große Mengen an Material ab. Oft kommt es dabei zu periodischen Ausbrüchen energiereicher Röntgenstrahlung. Astronomen bezeichnen diese Duos aus Neutronenstern plus Partner daher auch als Röntgendoppelstern.

NICER-Teleskop
Das Röntgenteleskop NICER ist außen an der ISS montiert. Es umfasst 56 einzelne Röntgenlinsen. © NASA

Kompaktes Duo im Visier

Einer dieser Röntgendoppelsterne hat sich nun als gleich doppelt rekordträchtig erwiesen. Das System 4U 1820-30 liegt rund 26.000 Lichtjahre von uns entfernt in der Konstellation Schütze und ist schon länger für periodische Röntgenausbrüche bekannt. Ihr Timing legt nahe, dass dieses Duo extrem kompakt ist und zwei besonders kleine Partner umfasst: einen nur zwölf bis 16 Kilometer großen, aber 1,4 Sonnenmassen schweren Neutronenstern und einen etwa erdgroßen, deutlich leichteren Weißen Zwerg.

Um mehr über dieses Duo zu erfahren, haben Gaurava Jaisawal von der Technischen Universität Dänemarks und seine Kollegen 4U 1820-30 über fünf Jahre hinweg immer wieder mit dem NICER-Röntgenteleskop an Bord der Internationalen Raumstation ISS ins Visier genommen. Ziel war es, mehr über die Interaktion der beiden Sternenreste und die Mechanismen hinter den Röntgenausbrüchen des Neutronensterns zu erfahren.

Rapide Oszillationen verraten Rotation

Dabei zeigte sich Überraschendes: „In den thermonuklearen Explosionen dieses Systems haben wir bemerkenswerte Oszillationen gefunden“, berichtet Jaisawal. Diese leichten, schnellen Schwankungen der Röntgenintensität während der Strahlungsausbrüche treten auf, wenn beispielsweise nur eine Stelle der Neutronenstern-Oberfläche explodiert. Diese wird dann durch die Rotation des Sterns immer wieder ins Sichtfeld der Teleskope gedreht. Bei 4U 1820-30 war eine solche Oszillation zuvor nie eindeutig nachgewiesen worden.

Spannend ist dies deshalb, weil diese Oszillationen verraten können, wie schnell der Neutronenstern sich dreht – und bei 4U 1820-30 geschieht dies offenbar in schwindelerregendem Tempo: „Die Oszillationen deuten darauf hin, dass dieser Neutronenstern erstaunliche 716-mal pro Sekunde rotiert“, berichtet Jaisawal. Dies entspricht 42.960 Umdrehungen pro Minute.

Neuer Rotationsrekord

Damit bricht der Neutronenstern 4U 1820-30 einen, vielleicht sogar mehrere Rekorde: „Zurzeit gibt es keinen anderen Neutronenstern in einem vergleichbaren System, der Oszillationen von mehr als 620 Hertz zeigt“, schreiben die Astronomen. „Die Entdeckung einer 716-Hertz-Oszillation bei 4U 1820–30 könnte ihn damit zum schnellsten bekannten Neutronenstern in einem Röntgendoppelstern machen.“

Aber nicht nur das: Mit einer Rotation vom 42.960 Umdrehungen pro Minute könnte dieser Neutronenstern zu den am schnellsten rotierenden Himmelskörpern gehören – und vielleicht sogar den bisherigen Rekordhalter übertreffen. Diesen Titel trug bisher der Pulsar PSR J1748–2446 im Sternhaufen Terzan 5, der ebenfalls mit rund 716 Umdrehungen pro Sekunde rotiert. „Wenn künftige Beobachtungen unsere Daten bestätigen, dann wäre 4U 1820-30 eines der am schnellsten rotierenden Objekte im bekannten Universum“, sagt Jaisawal.

Enger Umlauf und geklautes Helium

Und noch einen Rekord haben die Beobachtungen bestätigt: 4U 1820-30 hat die kürzeste bekannte Umlaufperiode eines Doppelsystems. Der zweite Partner im Duo, der etwa erdgroße Weiße Zwerg, umkreist den Neutronenstern so eng, dass er nur 11,4 Minuten für einen Umlauf benötigt. Beide Sternenreste sind sich dadurch so nahe, dass der Neutronenstern seinem größeren, aber leichteren Partner besonders viel Helium absaugen kann.

Dieses gestohlene“ Helium sammelt sich auf der Oberfläche des Neutronensterns, bis seine Dichte eine bestimmte Schwelle überschreitet – und es zur thermonuklearen Explosion kommt. „Während dieser Ausbrüche wird der Neutronenstar bis zu 100.000-mal heller als die Sonne und setzt eine enorme Menge Energie frei“, erklärt Seniorautor Jerome Chenevez von der Technischen Universität Dänemarks. Die neuen Beobachtungen legen nahe, dass sich die gesamte Oberfläche des Neutronenstern bei diesen Explosionen um rund 50 Kilometer aufbläht. (The Astrophysical Journal, 2024; doi: 10.3847/1538-4357/ad794e)

Quelle: The Astrophysical Journal

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