Raumfahrt

Orbit: Gefahr durch Envisat?

Der ausrangierte ESA-Satellit soll noch 150 Jahre als Weltraumschrott im Orbit kreisen

ESA-Satellit Envisat: Seit 2012 ohne Kontakt © ESA

Der ESA-Satellit Envisat kreist seit 2012 steuerlos im Erdorbit – er ist Weltraumschrott und damit eine potenzielle Gefahr für andere Satelliten. Wie hoch die Kollisionsgefahr ist und was man tun könnte, um ihn aus der Gefahrenzone zu manövrieren, haben britische Jungforscher nun ermittelt. Das Problem: Es gäbe eine Lösung, die ist aber zurzeit technisch noch nicht machbar.

Der Erdorbit ist alles andere als leer, hier kreist jede Menge Weltraumschrott: Bruchstücke von Trägerraketen, ausgemusterte Satelliten, Abfälle von Feststoffraketen, Überreste von Explosionen und Kollisionen, sogar Farbsplitter von Raumschiffen rasen mit Höchstgeschwindigkeit durchs All. Sieben bis acht Kilometer pro Sekunde legt Weltraumschrott im niedrigen Erdorbit in einer Höhe von bis zu 2.000 Kilometern zurück. Mit jedem Stückchen Schrott steigt das Risiko einer Kollision mit einem der aktiven Spionage- oder Wettersatelliten, Kommunikations- oder Forschungssatelliten, mit einer Raumfähre oder der Internationalen Raumstation ISS.

Acht-Tonnen Brocken im Orbit

Die meisten Bruchstücke sind sehr klein: Rund 500.000 von ihnen messen zwischen einem und zehn Zentimetern; nur 21.000 sind größer als zehn Zentimeter. Manchmal sind jedoch auch richtig dicke Brummer dabei – etwa Envisat, der größte zivile Satellit im Orbit, den die Europäische Raumfahrtagentur ESA 2002 ins All schickte, um Land und Ozeane, Polkappen und Veränderungen in der Atmosphäre zu beobachten.

2012 brach der Kontakt zu dem neun Meter langen, nahezu 8.000 Kilo schweren und mehr als zwei Milliarden Euro teuren ESA-Satelliten ab. Seither kreist er unkontrolliert in rund 790 Kilometern Höhe durch den Orbit und wird dies voraussichtlich noch für die nächsten 150 Jahre tun. Er droht dabei mit funktionstüchtigen Satelliten oder anderem Schrott zu kollidieren, jedes Jahr wird er sich im Schnitt zwei Objekten auf rund 200 Meter nähern, wie Katie Raymer von der University of Leicester und ihre Kollegen ausrechneten.

Weltraumschrott: Jeder Punkt in dieser Grafik repräsentiert ein größeres Schrottstück dessen Bahn die NASA überwacht. © NASA

Kettenreaktion nach Kollision?

Die Jungforscher haben untersucht, wie hoch das Risiko für Kollisionen mit dem Satelliten ist und wie es sich minimieren ließe. Zwar sei es unwahrscheinlich, dass es tatsächlich zu einer Kollision mit Envisat komme, sagt Raymer. Doch wenn es passiert, besteht das Risiko einer Kettenreaktion, Kessler-Syndrom genannt: Ein Zusammenstoß schafft eine Vielzahl neuer Bruchstücke, die ihrerseits mit weiteren Objekten im Orbit kollidieren – und immer so weiter. Sandra Bullock wird in dem Film „Gravity“ als Astronautin Opfer solch einer marodierenden Schrottwolke.

Envisat schwebt zudem in einer Höhe, in der die Dichte an Weltraumschrott besonders hoch ist – und kreuzt regelmäßig die Bahn vieler Satelliten, die um die Pole kreisen. „Auch wenn ein Unfall unwahrscheinlich ist, lohnt die Überlegung, Envisat aus seinem Orbit zu befördern“, sagt Raymer. Gemeinsam mit zwei Kollegen hat sie berechnet, wohin der Satellit zu manövrieren wäre und wie viel Treibstoff dazu nötig ist.

Kontrolliertes Absenken oder Einfangen?

Am sinnvollsten wäre es demnach, Envisat in einen niedrigeren Orbit in 700 Kilometern Höhe zu bugsieren. Dann würde er nicht erst in 150, sondern voraussichtlich schon in 25 Jahren durch die Reibung der Atmosphäre soweit abgebremst, dass er absinken und in der Atmosphäre verglühen würde. Um dieses Manöver durchzuführen, wären allerdings 143 Kilogramm Hydrazin-Treibstoff notwendig.

ESA-Idee für eine Einfang-Mission: eine Robotersonde mit Greifarmen © ESA

Zwei Probleme gibt es dabei: Erstens ist es eine extrem teure Angelegenheit, 143 Kilogramm Last auf eine Höhe von 790 Kilometer zu schießen. Zweitens ist Envisat nicht darauf ausgelegt, frisch betankt zu werden. Er besitzt vier Tanks, von denen mindestens zwei neu befüllt werden müssten, bisher gibt es dafür allerdings noch keine technischen Lösungen. Abhilfe schaffen könnte nach Ansicht der Jungforscher vielleicht die Robotic Refueling Mission der NASA, die künftig defekte Satelliten neu befüllen können soll. Leider absolviert sie gerade erst die allerersten Testläufe.

Die ESA untersucht zurzeit ebenfalls mehrere Möglichkeiten, wie Weltraumschrott künftig eingefangen werden könnte. Darunter sind Einfangmissionen mit Wurfnetzen, Robotersonden mit Greifarmen, die ausrangierte Satelliten und andere Schrottteile packen und in die Atmosphäre oder in eine sehr hohe Umlaufbahn ziehen sollen. Das größte Problem dabei ist es allerdings, das dabei drohende unkontrollierte Trudeln der Schrottteile unter Kontrolle zu bekommen. Auf einem Symposium am 6. Mai in den Niederlanden sollen diese und andere Maßnahmen gegen Weltraumschrott diskuitiert werden.

(University of Leicester / ESA, 24.02.2014 – NPO/NSC)

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