Astronomie

Planetensystem widerspricht gängiger Theorie

Ungewöhnliches Paar aus Stern und Exoplanet könnte Relikt einer planetaren Katastrophe sein

Wo um einen Stern Gasriesen entstehen und wie groß sie werden, wird normalerweise vom Stern und den Merkmalen der Gaswolke bestimmt. Doch HIP 65426 und sein Planet widersprechen dem. © ESO/ CC-by-sa 4.0 (modifiziert)

„Unmögliches“ Paar: Astronomen haben einen Stern mit Planet entdeckt, der allen Modellen der Planetenbildung widerspricht. Denn der Stern rotiert viel schneller als er sollte und sein Gasplanet ist zu klein und kreist viel zu weit außen. Ebenfalls rätselhaft: Obwohl das System extrem jung ist, fehlt jede Spur von einer Gasscheibe. Wie dieses seltsame Paar trotzdem zustande kam, darüber können die Astronomen bisher nur spekulieren.

Normalerweise folgen Planetensysteme bestimmten Regeln. So bestimmen beispielsweise die Masse des Zentralstern und der Urwolke, wie groß und massereich die umgebenden Planeten werden können. Die Dichteverteilung der Urwolke beeinflusst, wo kleinere Gesteinsplaneten oder aber Gasriesen entstehen. So konnte beispielsweise der Jupiter nur im Außenbereich unseres Sonnensystems entstehen, weil nur dort genügend Gas vorhanden war. So weit, so bekannt.

Viel zu schnelle Rotation

Doch nun haben Gael Chauvin von der Universität Grenoble und seine Kollegen einen Stern samt Planet entdeckt, der einem Großteil dieser Regeln zu widersprechen scheint. Der Stern HIP 65426 liegt rund 400 Lichtjahre von uns entfernt inmitten einer Art Sternenkindergarten: der Scorpius-Centaurus-Assoziation. Alle Sterne dort sind noch echte „Babys“, auch HIP 65426 ist erst rund 14 Millionen Jahre alt.

Als die Astronomen diesen Stern mit dem Very Large Telescope der ESO in Chile näher beobachteten, stellten sie Überraschendes fest: Der Stern rotiert rund 150 Mal so schnell um seine Achse wie die Sonne. „Damit ist HIP 65426 einer der schnellen bekannten Rotatoren dieses Spektraltyps“, sagen die Forscher. Nur ein einziger bekannter Stern dieser Spektralklasse rotiert ähnlich schnell – und dieser ist Teil eines Doppelsternsystems.

Zu weit vom Stern entfernt

Aber das ist noch nicht alles: Dieser Stern besitzt auch einen Planeten. Dieser ist eineinhalb Mal so groß wie Jupiter und hat die sechs bis zwölffache Masse unseres Gasriesen, wie die Astronomen ermittelten. Spektralanalysen sprechen dafür, dass es sich auch bei HIP 65426b um einen Gasplaneten mit Wasserdampf und rötlichen Wolken in seiner Atmosphäre handelt. Auf seiner Oberfläche herrschen wahrscheinlich Temperaturen zwischen 1.000 und 1.3000 Grad.

Abbildung des Planeten HIP 65426b (unten), aufgenommen mit dem VLT. Das Licht des Sterns ist blockiert, um den Planeten scihtbar zu machen. © Chauvin et al. / SPHERE

Seltsam jedoch: Der Orbit dieses Gasriesen liegt ungewöhnlich weit außen. HIP 65426b hat einen Abstand von 92 astronomischen Einheiten zu seinem Stern – das entspricht dem vierfachen Abstand des Neptuns zur Sonne. Damit kreist der Exoplanet in einer Zone, in der er keinesfalls entstanden sein. Hinzu kommt: Bei einem Zentralstern wie HIP 65426 würde man einen deutlich größeren Planeten erwarten.

Wo ist die Staubscheibe?

Und noch etwas passt nicht ins Bild: Ein massereicher Stern wie HIP 65426 müsste in diesem jungen Alter eigentlich noch eine dichte und große Staubscheibe besitzen – doch von dieser fehlt jede Spur. „Wir würden erwarten, dass ein so junges Planetensystem noch seine Staubscheibe besitzt, die man in den Beobachtungen dann auch sehen sollte“, sagt Chauvin. „Aber soweit wir sehen können, besitzt HIP 65426 keine solche Staubscheibe.“

Sowohl Stern als auch Planet passen damit in gleich mehrerer Hinsicht nicht zu den gängigen Modellen der Planetenbildung: Der Planet ist zu klein und zu weit außen, der Stern rotiert zu schnell und zu allem Überfluss fehlt die protoplanetare Scheibe. Wie konnte ein so ungewöhnliches System überhaupt zustande kommen?

Gab es eine planetare Katastrophe?

Bislang können die Astronomen darüber nur spekulieren. Ein mögliches Szenario: HIP 65426 und sein Planet sind die Überlebenden einer planetaren Katastrophe. Dabei könnte sich der Gasriese ursprünglich viel weiter innen gebildet haben. Weiter außen kreiste ein weiterer, massereicherer Planet. Dann jedoch gab es Turbulenzen und beide Planeten kollidierten fast miteinander.

Als Folge wurde HIP 65426b nach außen geschleudert – in seine heutige Umlaufbahn. Seinen größeren Mitplanet jedoch katapultierte dies nach innen. Er stürzte in den Stern und gab diesem dabei einen starken Impuls, der dessen Rotation beschleunigt. Diese dramatischen Ereignisse könnten auch erklären, warum keine Staubscheibe zu sehen ist: Sie wurde durch die umhergeschleuderten Planeten destabilisiert und wurde weit verstreut und aufgelöst.

Die Rätsel bleiben

Allerdings: Noch ist dies nur reine Spekulation. Rein theoretisch könnte es noch andere Erklärungen geben – oder man hat bisher wichtige Informationen übersehen. So schließen die Astronomen beispielsweise nicht aus, dass es um den Stern HIP 65426 vielleicht noch unentdeckte innere Planeten gibt. Denkbar wäre auch, dass Stern und Gasriese unabhängig voneinander durch lokale Kollapse der Gaswolke entstanden sind. Sie wären dann eher eine Art gescheitertes Doppelsternsystem.

Klar scheint: Das neuentdeckte Duo aus Stern und Planet gibt noch jede Menge Rätsel auf. Die Astronomen hoffen aber, einige der offenen Frage durch weitere Beobachtungen und Simulationen klären zu können. (Astronomy and Astrophysics, in press; arXiv:1707.01413)

(Max-Planck-Institut für Astronomie, 07.07.2017 – NPO)

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