Mysteriöses Phänomen: Seit 2019 rätseln Astronomen über gigantische kosmische Ringe aus Radiostrahlung. Jetzt könnten sie die Ursache dieser „Odd Radio Circles“ (ORC) gefunden haben. Denn bei einem rund 650.000 Lichtjahre großen Radioring wurde erstmals ein optischer Gegenpart des Phänomens entdeckt. Spektralanalysen enthüllen, dass die kreisförmigen Strahlungsringe wahrscheinlich auf Schockwellen einer zentralen Galaxie zurückgehen. In ihr löste eine explosive Phase der Sternbildung und Supernova-Explosionen massive galaktische Winde aus, wie das Team in „Nature“ berichtet.
Es kommt nicht oft vor, dass Astronomen am Himmel Phänomene entdecken, die noch nie zuvor gesehen wurden – und die sich allen gängigen Erklärungen zu entziehen scheinen. Doch genau dies passierte im Jahr 2019, als der neue Radioteleskopverbund ASKAP (Australian Square Kilometer Array Pathfinder) seltsame, kreisförmige Radiostrukturen am Himmel entdeckte. Diese „Odd Radio Circles“ (ORC) getauften Objekte bildeten riesige, rund eine Bogenminute überspannende Kreise aus schwacher Radiostrahlung. Mit mehreren hunderttausend Lichtjahren Durchmesser sind sie weit größer als jede Galaxie.
Doch was ist die Ursache dieser gigantischen Radioringe? Messungen der Polarisation legten zwar nahe, dass sich diese Radioringe ausdehnen. Doch über ihren Ursprung konnten Forschende nur spekulieren.
Radioring mit heißem Zentrum
Jetzt ist Astronomen ein entscheidender Durchbruch gelungen: Ein Team um Alison Coil von der University of California in La Jolla hat erstmals den optischen Gegenpart eines solchen Radiorings entdeckt und untersucht. Dafür hatten sie ORC4, einen rund 650.0000 Lichtjahre großen auch von der Nordhalbkugel aus beobachtbaren Radioring mit dem Spektrografen des W.M. Keck Observatory auf Hawaii anvisiert.
Die Analysen enthüllten im Inneren des Radiorings eine rund 130.000 Lichtjahre große Zone mit heißem, komprimiertem und stark leuchtendem Gas. Davon zeugten stark ausgeprägte Emissionslinien von ionisiertem Sauerstoff, in geringerem Maße auch von Magnesium und Neon. „Die [O II]-Emission ist ungewöhnlich weit ausgedehnt. Sie stammt nicht aus dem Kern der Galaxie und ihre maximale Ausdehnung ist um eine Größenordnung größer als bei vergleichbaren Galaxien“, berichten Coil und ihr Team.
Außerdem entdeckten die Astronomen im Zentrum des Radiorings ORC4 eine massereiche, rötliche Galaxie mit vorwiegend alten, gut sechs Milliarden Jahre alten Sternen – und kaum aktiver Sternbildung.
Schockwelle einer galaktischen Starburst-Phase?
Doch was sagt dies über den Ursprung des Radiorings? Nach Angaben der Forschenden kann das heiße, ionisierte Gas weder von einem aktiven Schwarzen Loch im Zentrum der Galaxie stammen noch vom interstellaren Medium der Galaxie. Was aber ist es dann? „Eine der möglichen Szenarien für die Entstehung der Odd Radio Circles ist die Schockwelle eines Starburst-Winds“, erklären Coil und ihr Team. Dabei handelt es sich um Gas und Staub, die bei der Supernova-Explosion massiver Sterne freiwerden und sich mit bis zu 2.000 Kilometer pro Sekunde ausbreiten.
Diese galaktischen Winde entstehen, wenn eine Galaxie eine Phase intensiver Sternbildung durchlebt, eine sogenannte Starburst-Phase. Weil viele der dabei gebildeten massereiche Sterne schon nach kurzer Zeit wieder explodieren, kann sich der Ausstrom der vielen Supernovae zu einem über die Galaxie hinausreichenden Galaxienwind ausweiten. Tatsächlich ergaben ergänzende Beobachtungen und Simulationen, dass die zentrale Galaxie von ORC4 vor rund einer Milliarde Jahren eine Starburst-Phase erlebte.
Warum sind die ORCs so selten?
Nach Ansicht der Astronomen könnten die riesigen Radioringe demnach auf solche vergangenen Starburst-Phasen ferner Galaxien zurückgehen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die ORCs auf eine bestimmte Art von galaktischen Ausströme zurückgehen“, sagt Coil. „Allerdings gibt es dabei zwei Schlüsselfaktoren: Die Galaxie muss sehr schnell sehr viel Material ausstoßen. Und das umgebende Gas außerhalb der Galaxie muss eine sehr geringe Dichte haben, weil die Schockwelle sonst stagniert.“
Diese Voraussetzungen könnten erklären, warum die Odd Radio Circles so selten sind und erst so spät entdeckt wurden. „Sie bilden sich wahrscheinlich nur dann, wenn die Ursprungsgalaxie und das zirkumgalaktische Medium die richtigen Eigenschaften zeigen“, so die Astronomen. Künftige Beobachtungen müssen nun zeigen, wie häufig diese Voraussetzungen erfüllt werden. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-023-06752-8)
Quelle: University of California – San Diego