Mysteriöse Landschaftsformen: Schon seit längerem rätseln Planetenforscher über die sogenannten „Mars-Spinnen“ – Gebilde aus einem zentralen Schlot, von dem strahlenartig mehrere dünne „Beinchen“ abgehen. Jetzt gibt ein Experiment Aufschluss über die Entstehung dieser bislang nur auf dem Mars beobachteten Strukturen. Es bestätigt: Die Sublimation von Kohlendioxid-Eis spielt eine zentrale Rolle bei der Bildung der Mars-Spinnen.
Auf dem Mars gibt es eine ganze Reihe von Landschaftsformen, die keine irdische Entsprechung haben. Dazu gehören die ungeheuren Ausmaße von Vulkanen wie dem Olympus Mons oder Schluchten wie die Valles Marineris. Aber auch die geschichteten Eise der Polargebiete, saisonale Rinnen an Kraterwänden oder „Geisterdünen“ sind Eigenheiten des Roten Planeten und seines Klimas.
„Spinnen“-Horden am Mars-Südpol
Eine weitere Rätsel-Struktur sind die „Mars-Spinnen“, auch als araneiformes Terrain bezeichnet. Diese Landschaftsformen wurden bislang vor allem auf dem geschichteten Eis der Südpolregion und den umgebenden Ebenen beobachtet. Sie bestehen aus einer zentralen Senke, von der strahlenförmig gewundene, oft verzweigte Gräben abgehen. Diese werden mit wachsender Entfernung zum Zentrum flacher.
„Während die zentrale Senke typischerweise rund 50 Meter groß ist, kann sich das gesamte Gebilde über Dutzende Meter, aber auch über bis zu einen Kilometer erstrecken“, berichten Lauren McKeown vom Trinity College Dublin und ihre Kollegen. Häufig kommen diese „Spinnen“ in Gruppen vor, teilweise überlappen sie sich sogar. Zudem werden sie im marsianischen Frühjahr oft von dunklen Flecken und fächerartigen Formen begleitet.
Durch Sublimation eingekerbt?
Doch wie entstehen diese merkwürdigen Gebilde? Schon länger vermuten Planetenforscher, dass der geringe Gasdruck der Marsatmosphäre und die Kälte dabei eine entscheidende Rolle spielen. Denn sie führen dazu, dass Eis beim Erwärmen nicht schmilzt, sondern direkt vom festen in den gasförmigen Zustand übergeht – es sublimiert. Dies wiederum kann zu Ausgasungen führen, die laut der sogenannten Kieffer-Hypothese auch die Mars-Spinnen erzeugen.
Dieser Hypothese nach scheint das Sonnenlicht im Mars-Frühling durch das transparente Eis hindurch und erwärmt den darunterliegenden Regolith. Dadurch kommt es an der Eisunterseite zur Sublimation und das Gas entweicht mitsamt mitgerissenem Marsstaub durch winzige Risse im Eis. Dieser Gasausbruch kerbt strahlenförmige Rinnen in den Regolith, die dann bei vollständiger Sublimation der dünnen Eisschicht zutage treten.
Gasausbruch in der Mars-Klimakammer
Ob so tatsächlich spinnenförmige Formen entstehen können, haben nun McKeown und ihr Team im Experiment überprüft. Dafür ahmten sie die Vorgänge in kleinerem Maßstab in einer speziellen Marsklimakammer nach, in der Temperatur, Druck und Gaszusammensetzung der des Roten Planeten entsprachen. In den Tests legten sie einen Block aus CO2-Eis auf einen simulierten Marsregolith aus Glaskügelchen. Die Temperatur dieses Marssands lag etwas über der Sublimationsschwelle des Trockeneises. Der Eisblock war zudem an einer Stelle durchbohrt, um einen Riss im Eis nachzubilden.
Es zeigte sich: Sobald der Eisblock die wärmere Oberfläche berührte, begann an seiner Unterseite die Ausgasung. Gleichzeitig stieg eine fontänenartige Wolke von CO2 und mitgerissenen Kügelchen aus der Öffnung an der Eisoberseite. Blieb der Eisblock länger auf dem Marssand liegen, war die Gasentwicklung so stark, dass das hochgerissenen Sediment sogar bis zur Decke der Kammer schoss, wie die Forscher berichten.
Spinnenmuster unterm Trockeneis
Noch spannender aber war, was sich unter dem Eis tat: Als das Team den halbverdampften Eisblock wieder vom Sediment abhob, zeigten sich in allen Versuchsdurchgängen araneiforme Strukturen – Mars-Spinnen. Weil das ausgasende Kohlendioxid aus allen Richtungen zur nach oben führenden Öffnung strömte, kerbte es die linienförmigen Gräben in den Regolith. Je nach Korngröße beobachteten die Forscher auch doppelte Spinnen und fächerförmige Strukturen.
„Die Experimente belegen, dass die Spinnenmuster auf dem Mars durch die direkte Konversion von Trockeneises zu Gas geformt werden können“, sagt McKeown. Wie lang und verzweigt die „Beine“ der Spinnen werden, hängt dabei von der Korngröße des Regoliths und der Größe der Öffnung im Eis ab – je größer die Körner und der Schlot, desto kürzer und weniger verzweigt sind die strahlenförmigen Gräben.
Hypothese bestätigt
Nach Ansicht von McKeown und ihrem Team bestätigen ihre Experimente erstmals auch praktisch, dass die Kieffer-Hypothese stimmt und dass die Sublimation die Mars-Spinnen erzeugen kann. „Das ist der erste empirische Beleg für den Prozess, der die polaren Landschaften des Mars prägt“, so die Forscherin. „Das ist spannend, weil wir damit langsam immer mehr darüber verstehen, was die Marslandschaft prägt und wie sie sich saisonal verändert.“
Noch ist allerdings nicht geklärt, ob solche Mars-Spinnen auch heute noch frisch auf dem Roten Planeten gebildet werden. Denn bisher ist es keiner Marssonde gelungen, eine araneiforme Struktur beim Entstehen zu beobachten. (Scientific Reports, 2021; doi: 10.1038/s41598-021-82763-7)
Quelle: Trinity College Dublin