Astronomie

Rätsel der X-förmigen Radiogalaxien gelöst

Wie aktive Schwarze Löcher gekreuzte Radiojets erzeugen

RAdiogalaixe-SImulation
Eine Simulation enthüllt, wie Radiogalaxien mit scheinbar X-förmigen Jets entstehen: Anfänglich abweichende Orientierungen der Jets hinterlassen Spuren (blau), die später zusammen mit dem bleibenden Jet (türkis) die X-Form ergeben. © Aretaios Lalakos/ Northwestern University

Ein X am Himmel: Seit Jahrzehnten rätseln Astronomen, warum einige aktive Galaxien vier x-förmig angeordnete Radiojets statt der normalen zwei zeigen. Jetzt liefert eine Modellsimulation die überraschende Antwort. Anders als gedacht erfordern die X-förmigen Radiogalaxien weder doppelte Schwarze Löcher noch andere seltene Konstellationen. Stattdessen sind sie eine Art Jugendstadium der normalen Radiogalaxien – eine kurze, aber durchaus normale Phase in der Entwicklung solcher aktiven Galaxien.

Radiogalaxien gehören zu den größten und auffallendsten galaktischen Strukturen im Kosmos. Denn die aktiven supermassereichen Schwarzen Löcher in ihrem Zentrum erzeugen gewaltige paarige Jets aus schnellen Teilchen und Strahlung, die im Radiowellenbereich strahlen und Millionen von Lichtjahren ins All hinausreichen können. Typisch ist, dass die Radiojets von den Polen des Schwarzen Lochs ausgehen und in genau entgegengesetzte Richtungen zeigen.

Centaurus A
Centaurus A ist die uns nächstliegende Radiogalaxie, deutlich sind die paarigen Jets zu erkennen. © ESO/WFI (Optical); MPIfR/ESO/APEX/A.Weiss et al. (Submillimetre); NASA/CXC/CfA/R.Kraft et al. (X-ray)/ CC-by 4.0

Wie kommt das X zustande?

Doch einige Radiogalaxien passen nichts ins gängige Bild: „Fünf bis zehn Prozent der Radiogalaxien zeigen eine verblüffende X-Form – sie besitzen zwei Jet-Paare, die in sehr unterschiedlichen Winkeln vom Galaxienzentrum ausgehen“, erklären Aretaios Lalakos von der Northwestern University in Illinois und seine Kollegen. Wie diese X-förmigen Radiogalaxien zustande kommen und warum, war bisher jedoch rätselhaft.

„Eine populäre Hypothese ist, dass zwei Galaxien kollidieren“, erklärt Lalakos. Die zentralen Schwarzen Löcher dieser Galaxien umkreisen sich dabei, bevor sie verschmelzen, und bilden jeweils ihr eigenes Paar von Radiojets. Alternativ könnte ein Schwarzes Loch nach einer Pause oder Kollision in neuer Ausrichtung wieder aktiv werden. Die Reste der ursprünglichen Jets bleiben dann noch länger sichtbar. „Eine weitere Hypothese ist, dass die Form der Jets durch die Interaktion mit einer Hülle aus heißem, dichtem Gas verändert wurde“, so Lalakos.

„Erwachendes“ Schwarzes Loch rekonstruiert

Was wirklich geschieht, hat nun das Astronomenteam um Lalakos aufgedeckt – durch Zufall. Denn eigentlich wollten die Forscher mithilfe einer umfangreichen Simulation untersuchen, wie ein supermassereiches Schwarzes Loch Materie verschlingt und wie viel. Dafür gingen sie von einfachen Ausgangsbedingungen aus: einem rotierenden Schwarzen Loch, das von interstellarem Medium und einem einfachen Magnetfeld umgeben ist. „Normalerweise starten Forscher schon mit einer Akkretionsscheibe um das Schwarze Loch, ich wollte aber so einfach wie möglich und ohne Vorannahmen starten“, erklärt Lalakos.

Zunächst erzeugte das Schwarze Loch wie erwartet einen Sog, der das Gas vom Außenrand des Gebiets schnell ins Innere fallenließ. Dadurch begann sich eine Akkretionsscheibe aus heißem, schnell ums Schwarze Loch rotierendem Plasma zu bilden. „Normalerweise würde der dadurch zunehmende magnetische Fluss zur Bildung der beiden von Magnetfeldern angetriebenen Jets führen“, erklärt das Team. „Aber das Schwarze Loch ist von allen Seiten von einfallendem Gas umgeben, die die Jets stören.“

Gas drängt frühe Jets aus der Bahn

Dadurch zeigte sich Überraschendes: Statt wie normalerweise üblich von den Polen des Schwarzen Lochs abzustrahlen, wurden die anfangs noch schwachen Teilchen- und Strahlenströme vom einfallenden Gas seitlich abgelenkt. „Die Neigungs- und Präzessionswinkel der Jets schwanken durch diesen erratischen Start stark“, berichten die Astronomen. „Tatsächlich stehen sie in der ersten Zeit sogar fast senkrecht zur polaren Achse – sie liegen fast in der äquatorialen Ebene des Schwarzen Lochs.“

Erst wenn die Radiojets an Kraft gewinnen, setzen sie sich gegen das einfallende Gas durch und richten sich polar aus. Wie die Simulation enthüllte, hinterlassen die frühen äquatorialen Jets Blasen und Turbulenzen im umgebenden Gas, die auch nach ihrem Erlöschen vorübergehend erhalten bleiben. Die Kombination dieser Jetspuren und der späteren polaren Jets erzeugt einige Zeit lang den Eindruck einer Radiogalaxie mit x-förmigen Jets.

X-Phase häufig, aber kurzlebig

„Dieses Resultat war eine echte Überraschung“, sagt Lalakos. „Dies ist das erste Mal, dass in einer Simulation eine solche X-förmige Morphologie aus ganz simplen Ausgangsbedingungen entstanden ist.“ Die Studie beweist damit, dass X-förmige Radiogalaxien keine Paare Schwarzer Löcher oder andere exotische Ursachen haben. Stattdessen sind sie wahrscheinlich einfach eine Art Jugendstadium in der normalen Entwicklung aktiver Radiogalaxien.

Das bedeutet auch, dass solche X-Radiogalaxien weit häufiger sein könnten als bislang gedacht. Weil ihre auffällige X-Form aber immer nur kurze Zeit bestehen bleibt, ist nur ein kleiner Teil für Astronomen sichtbar. „Sie könnten sogar jedes Mal entstehen, wenn das Schwarze Loch neues Gas bekommt und zu fressen beginnt“, erklärt Lalakos. „Aber in vielen Fällen können wir diese Entwicklung solcher Schwarzen Löcher nicht mitverfolgen, weil unser menschliches Leben zu kurz ist.“

Der Astronom plant bereits, weitere Simulationen durchzuführen, um die Bildungsbedingungen für die X-förmigen Radiogalaxien noch genauer einzugrenzen. „Um zu verstehen, was an einem Schwarzen Loch passiert, sind wir in den meisten Fällen auf solche Simulationen angewiesen“, erklärt Lalakos. (The Astrophysical Journal Letters, 2022; doi: 10.3847/2041-8213/ac7bed)

Quelle: Northwestern University

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