Der Überriesenstern HD 62623 steht am Abgrund des Todes – und ist trotzdem von einer Staubscheibe umgeben, wie sie sonst nur für neugeborene Sterne typisch ist. Warum? Eine Antwort darauf hat jetzt das erste detaillierte dreidimensionale Bild dieses Sterns und seiner unmittelbaren Umgebung gewonnen. Astronomen gewannen es, indem sie Abbildungstechniken der Radioastronomie nun auch zur Analyse optischer interferometrischer Daten einsetzten. Wie die Forscher jetzt in der Fachzeitschrift „Astronomy and Astrophysics“ berichten, könnte die Präsenz eines nicht direkt sichtbaren Begleitsterns für die Staubscheibe verantwortlich sein.
HD 62623 ist ein exotischer Überriese. Bei diesem Sternentyp handelt es sich um extrem leuchtkräftige Sonnen. Ihre Strahlung ist so intensiv, dass die energiereichen Photonen einen starken Sternwind hervorrufen. Im Gegensatz zu seinem wohlbekannten Zwilling, dem hellen Stern Deneb im Schwan, und nahezu allen Sternen seiner Spektralklasse, ist HD 62623 allerdings nicht „nackt“. Stattdessen ist er von einer dichten und komplexen Hülle aus Plasma und Staub umgeben. Doch genau dies gibt den Astronomen Rätsel auf. Denn normalerweise erzeugen die hellen Überriesen einen so starken „Wind“ aus Strahlung und Teilchen, dass keine Materie in unmittelbarer Nähe des Sterns kondensieren kann. Warum aber hat HD 62623 trotzdem diese Hülle?
Radioastronomie-Methode für optische Interferometrie eingesetzt
Genau dieses Rätsel hat jetzt ein Forscherteam unter Leitung von Florentin Millour vom Observatoire de la Côte d’Azur und Anthony Meilland vom Max Planck Institut für Radioastronomie gelöst. Es gelang ihnen erstmals, die genaue Geometrie und Dynamik der Staubhülle abzubilden und daraus erste Rückschlüsse über die Ursache der Hülle zu ziehen. Entscheidendes Werkzeug dafür war das „Amber“-Instrument am Interferometer des Very Large Telescope in Chile.
Durch Interferometrie können Teleskope so zusammengekoppelt werden, dass sie wie ein einziges großes Spiegel- oder Radioteleskop wirken. Das Amber-Instrument erhöht speziell die Qualität optischer Interferometrie durch die bisher nur in der Radioastronomie übliche Methode der Selbstkalibrierung. Die resultierenden Aufnahmen kombinieren räumliche Informationen mit denen zur Geschwindigkeit verschiedener Bildkomponenten.
Erstes 3D-Bild von HD 62623 mit Geschwindigkeitsinformationen
Mit dieser Technik gewannen die Astronomen nun erstmals eine Aufnahme von HD 62623, die nicht nur die Form seiner Staubhülle zeigt, sondern auch dessen Bewegung. „Dank unserer interferometrischen Beobachtungen mit ‘Amber’ konnten wir ein dreidimensionales Bild von HD 62623 erzeugen, das dem eines 130 Meter-Teleskops gleicht“, erklärt Millour. „Die Auflösung ist damit eine Größenordnung höher als die der größten optischen Teleskope von acht bis zehn Metern Spiegeldurchmesser.“ Sein Kollege Meilland vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie ergänzt: „Unser neues 3D-Bild lokalisiert den Bereich der Staubbildung rund um HD 62623 sehr genau und liefert Belege für die Rotation des Gases um den Zentralstern. Diese Rotation ähnelt der der Planeten um die Sonne.“
Neu entdeckter Begleitstern als Erklärung für Staubscheibe
Die Aufnahme lieferte auch dem entscheidenden Hinweis zur Möglichen Ursache dieser Staubhülle. Eine verräterische Lücke zwischen Staubscheibe und Stern deutet nach Ansicht der Astronomen auf die Präsenz eines lichtschwachen Begleitsterns hin. Wegen seiner geringen Helligkeit konnte der etwa sonnengroße Stern bisher nicht direkt beobachtet werden. Sollte sich bestätigen, dass es sich bei HD 62623 tatschlich um ein Doppelsternsystem handelt, könnte dies die Präsenz der Staubscheibe und andere exotische Eigenschaften des Sterns erklären. (Astronomy & Astrophysics, 2011; DOI: 10.1051/0004-6361/201016193)
(Max-Planck-Institut für Radioastronomie, 31.01.2011 – NPO)