Außer Kontrolle: Am gestrigen 11. Mai ist die Hauptbrennstufe einer chinesischen Trägerrakete unkontrolliert in die Atmosphäre eingetreten und über dem Atlantik abgestürzt. Zuvor raste das Weltraumschrottteil über mehrere Ballungsräume in den USA hinweg, bevor sie kurz vor der afrikanischen Küste ins Meer stürzte. Mit knapp 20 Tonnen Gewicht ist dies das schwerste unkontrolliert abstürzende Trümmerteil seit 30 Jahren.
Ob ausgebrannte Raketenstufe, Satellit oder eine ganze Raumstation: Immer wieder kommt es vor, dass Weltraumschrott aus dem Orbit wieder in die Atmosphäre eintritt. Während kleinere Objekte dabei verglühen, bleiben bei großen Objekten tonnenschwere Trümmer übrig. Deshalb werden solche Brocken normalerweise gezielt auf eine Bahn gelenkt, die Wiedereintritt und Absturz über unbewohnten Gebieten wie dem Pazifik sicherstellt. Der unkontrollierter Wiedereintritt eines schweren Schrotteils kommt dagegen eher selten vor.
Raketenstufe fällt aus dem Orbit
Doch genau das ist gestern passiert: Das Kernstück einer chinesischen Trägerrakete vom Typ Langer Marsch 5B ist unkontrolliert in die Atmosphäre eingetreten und dann über dem Atlantik abgestürzt. Das rund 30 Meter lange und fünf Meter dicke Bauteil wog rund 20 Tonnen und war damit der schwerste unkontrollierte Wiedereintritt eines Trümmerteils seit dem Absturz der russischen Raumstation Salyut 7 im Jahr 1991.
Die Rakete war am 5. Mai 2020 mit einer veränderten Konfiguration von der Insel Hainan in Südchina gestartet. Weil sie eine Testkapsel für künftige bemannte Flüge in den Orbit bringen sollte, wurde die zweite Brennstufe der Rakete durch die Nutzlast ersetzt, stattdessen sorgten vier außen angebrachte Booster für zusätzlichen Schub. Drei Minuten nach dem Stark waren sie ausgebrannt und wurden abgesprengt. Die erste Brennstufe transportierte die Nutzlast erfolgreich in den Orbit. Doch nach Trennung von der Raumkapsel sank diese Raketenstufe ab und trat auf anderer Bahn als geplant in die Atmosphäre ein.
Flugbahn direkt über New York City
Das Weltraum-Überwachungsradar des US-Militärs hatte die aus dem Orbit absinkende Raketenstufe am 11. Mai bereits kurz vor dem Atmosphäreneintritt detektiert und eine Warnmeldung herausgegeben. Nach dieser sollte der Eintritt in den gemäßigten Breiten erfolgen und die Flugbahn damit über die am dichtesten besiedelten Regionen der Erde führen. Gegen 17:00 Uhr unserer Zeit gab es genauere Flugdaten, wie Jonathan McDowell vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics per Twitter meldete:
At 11:21 Eastern time the CZ-5B rocket is predicted to pass 170 km directly above Central Park, New York. I’ve never seen a major reentry pass directly over so many major conurbations!
— Jonathan McDowell (@planet4589) May 11, 2020
Glücklicherweise blieben die Ballungsräume der US-Ostküste verschont: Die Raketenstufe trat erst gegen 17:33 Uhr unserer Zeit in die Atmosphäre ein – 13 Minuten nach ihrem Flug über New York. Zu diesem Zeitpunkt raste das Trümmerteil bereits über den Atlantik hinweg und hatte fast die Küste von Mauretanien erreicht. Während ein Großteil der Raketenstufe verglühte, stürzten die Reste der Triebwerke – wahrscheinlich ohne Schaden anzurichten ins küstennahe Meer. Ob auch einige Trümmer die Küste erreichten, ist bislang unbekannt.
Keine Ausnahme
Bisher sind solche unkontrollierten Abstürze von Weltraumschrott immer glimpflich und ohne Schäden oder Todesfälle verlaufen – die meisten Trümmerteile stürzten ins Meer. Doch während bei Satelliten und Raumstationen der Widereintritt und damit die Flugbahn gezielt gesteuert und geplant werden können, gilt dies für Raketenstufen nicht. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass ein solches Trümmerteil auch einmal über bewohntem Gebiet niedergeht.
China will in den nächsten beiden Jahren noch mindestens drei ganz ähnliche Tests mit Langer-Marsch-Raketen durchführen. Auch bei diesen Flügen kann es daher wieder zu unkontrollierten Abstürzen der Raketenstufen kommen. Wenn die ausgebrannten Raketenstufen aber im Orbit bleiben, bedrohen sie die dort kreisenden Satelliten und die Raumstation ISS.
Quelle: Spaceflightnow, Space Control Squadron, Jonathan McDowell