Astronomie

Rasender Zwerg gibt Rätsel auf

Hyperschnellläufer im Mini-Format rast auf ungewöhnlicher Bahn durch die Milchstraße

Raserstern
Astronomen haben einen ungewöhnlich kleinen "Raserstern" entdeckt, der von weither kommt und nun durch die Milchstraß0e rast. Diese Grafik zeigt seine rekonstruierte Flugbahn der letzten 150 Millionen Jahre. © nach Burgasser et al./ arXiv:2407.08578, CC-by 4.0

Zwerg auf Flucht-Kurs: Astronomen haben den bisher kleinsten Raserstern der Milchstraße entdeckt – und rätseln über seine Herkunft. Denn sowohl Flugbahn als auch Zusammensetzung dieses nur 0,083 Sonnenmassen schweren Objekts sind ungewöhnlich. Offen ist auch, ob es sich um einen Zwergstern oder Braunen Zwerg handelt. Noch können die Astronomen nur spekulieren, woher der rasende Zwerg einst kam und wie er quer durch die Milchstraße katapultiert wurde.

Die Sonne und fast alle anderen Sterne der Milchstraße kreisen eher gemächlich um das Zentrum unserer Galaxie. Doch es gibt auch Ausreißer: Sogenannte Hyperschnellläufer fliegen so schnell, dass sie die Anziehung der Milchstraße überwinden und ihr entfliehen können. Astronomen haben bereits mehrere hundert solcher „Rasersterne“ entdeckt, darunter viele massereiche Blaue Riesen, aber auch Doppelsterne oder Trümmer einer Supernova. Rund ein Drittel von ihnen könnte sogar extragalaktischen Ursprungs sein.

Die meisten dieser Rasersterne verdanken ihr hohes Tempo und die oft ungewöhnliche Flugbahn einer Beinahe-Katastrophe: Sie wurden von der Supernova eines Partnersterns ausgeschleudert oder schrammten haarscharf an einem Schwarzen Loch vorbei.

CWISE J1249+36
Ist der Hyperschnelläufer CWISE J1249+36 ein Stern oder ein Brauner Zwerg? (Illustration) © W.M. Keck Observatory/Adam Makarenko

Von Citizen-Science-Forschern entdeckt

Jetzt haben Astronomen einen Schnellläufer identifiziert, der in gleich mehrerer Hinsicht ungewöhnlich ist. Entdeckt wurde das CWISE J1249+36 getaufte Objekt von drei Teilnehmern des Citizen-Science-Projekts „Backyard Worlds: Planet 9„. In diesem suchen Freiwillige in Aufnahmen des Weltraumteleskops NeoWISE nach nahen Braunen Zwergen sowie dem hypothetischen neunten Planeten des Sonnensystems. Dabei stießen die drei Hobby-Astronomen auf ein lichtschwaches, schnell seine Position veränderndes Objekt,

„Als ich sah, wie schnell sich dieses Objekt bewegte, war ich überzeugt, dass es längst dokumentiert sein müsste“, berichtet Mitentdecker Martin Kabatnik aus Nürnberg. Doch das war nicht der Fall. Nach Eingang der Meldung wurden daher Astronomen um Adam Burgasser von der University of California in San Diego aktiv: Sie analysierten das Objekt mit dem hochauflösenden Spektroskop des Keck-II-Teleskops auf Hawaii.

Uns so nah wie kein anderer Raserstern

Die Analysen enthüllten: Der neuentdeckte Raserstern fliegt mit rund 524 Kilometer pro Sekunde durch die Milchstraße. „An diesem Punkt wurde das Objekt für uns spannend, denn Geschwindigkeit und Flugbahn verrieten, dass es schnell genug ist, um der Milchstraße zu entkommen“, erklärt Burgasser. Mit einer Entfernung von nur 400 Lichtjahren zu unserm Sonnensystem ist CWISE J1249+36 zudem der erdnächste bisher bekannte Hyperschnellläufer.

„J1249+3621 hat eine einzigartige Flugbahn und Geschwindigkeit“, berichten Burgasser und seine Kollegen. „Weniger als 0,002 Prozent der Sterne im Umkreis von rund 650 Lichtjahren um die Sonne haben vergleichbare tangentiale Geschwindigkeiten.“ Zudem liegt die Flugbahn des Rasers quer zu der der meisten andern Sterne: Er steuert zurzeit auf das Zentrum der Milchstraße zu, wird es im Abstand von rund 3.000 Lichtjahren passieren und rast dann aus der Galaxie hinaus, wie Modellierungen ergaben.

Ob der Hyperschnellläufer unserer Galaxie ganz entfliehen kann, ist allerdings nicht eindeutig geklärt: Rund 17 Prozent der Prognosen ergaben ein endgültiges Verlassen der Milchstraße, die restlichen sprachen für einen exzentrischen, weit nach außen reichenden Orbit von rund drei Milliarden Jahren Umlaufzeit.

Methusalem im Miniformat

Noch überraschender ist jedoch der Raserstern selbst. Denn die spektrografischen Analysen enthüllten, dass CWISE J1249+36 ungewöhnlich klein ist. Seine Masse liegt bei nur rund 0,083 Sonnenmassen – weit weniger als bei den meisten bisher bekannten Schnellläufern. Zudem liegt er damit nur knapp über der Grenze, ab der ein Stern seine Wasserstofffusion zünden und aufrechterhalten kann. Daher könnte der kleine Raser entweder ein massearmer, leuchtschwacher Sub-Zwergstern sein oder aber ein Brauner Zwerg – ein gescheiterter Stern.

Ungewöhnlich ist auch die Zusammensetzung des kleinen Rasers: Den Spektralanalysen zufolge ist CWISE J1249+36 sehr metallarm und enthält nur wenige schwerere Elemente als Wasserstoff und Helium. Das deutet darauf hin, dass dieser Zwergstern sehr alt sein muss – möglicherweise gehört er zu einer der ersten Sternengenerationen unserer Galaxie, wie Burgasser und seine Kollegen berichten.

Was machte den Zwerg zum Raserstern?

Doch wie wurde dieser kleine, alte Zwerg zu einem Hyperschnellläufer? Anhand der Flugbahn und den Eigenschaften von CWISE J1249+36 haben die Astronomen einige denkbare Szenarien überprüft. Eine Möglichkeit: Der Zwergstern war einst Teil eines Doppelsystems mit einem Weißen Zwerg, der in einer Supernova explodierte. „Bei dieser Art der Supernova wird der Weiße Zwerg komplett zerstört und sein Begleiter rast mit seinem ursprünglichen Tempo plus einem ordentlichen Schubs durch die Explosion davon“, erklärt Burgasser. „Unsere Berechnungen zeigen, dass dieses Szenario möglich wäre.“

Wurde der Zwerg CWISE J1249+36 durch eine Supernova zum Raserstern?© W.M. Keck Observatory/ Adam Makarenko

Denkbar wäre aber auch ein zweites Szenario: In diesem war der Raserstern ursprünglich Teil eines Kugelsternhaufens. In deren dichten Zentren liegen Sterne und stellare Schwarze Löcher nahe beieinander und können sich gegenseitig aus ihrer Bahn katapultieren. „Wenn ein Stern dabei einem Paar Schwarzer Löcher zu nahe kommt, kann ihn dies ganz aus dem Kugelsternhaufen hinausschleudern“, erklärt Koautor Kyle Kremer vom California Institute of Technology. Dabei können auch Flugbahnen wie die von CWISE J1249+36 herauskommen.

„Allerdings wissen wir nicht, von welchem Kugelsternhaufen dieser Stern kommen könnte“, sagt Kremer. Denn den Rekonstruktionen zufolge liegt keiner der bekannten Kugelsternhaufen auf der vergangenen Flugroute von J1249+36. Ebenso unklar ist auch, ob der rasende Zwergstern vielleicht irgendwann in der Vergangenheit dem supermassereichen Schwarzen Loch der Milchstraße zu nahe gekommen ist und dadurch aus seiner ursprünglichen Bahn geschleudert wurde.

Chemischer Fingerabdruck gesucht

Noch ist die wahre Geschichte des rasenden Zwergs CWISE J1249+36 ein Rätsel. Die Astronomen hoffen jedoch, seine Vergangenheit anhand weiterer Analysen aufklären zu können. „Wir benötigen dafür mehr Daten zu seinen physikalischen und atmosphärischen Eigenschaften“, erklären sie. Denn jedes der theoretisch denkbaren Szenarien müsste jeweils charakteristische Elementspuren in der Gashülle des Zwergsterns hinterlassen haben.

„Wir suchen daher nach einem chemischen Fingerabdruck, der uns verrät, aus welchen System dieser Stern kommt“, erklärt Koautor Roman Gerasimov von der University of Notre Dame in Indiana. (Astrophysical Journal Letters (in press), Preprint, doi: 10.48550/arXiv.2407.08578)

Quelle: NASA Jet Propulsion Laboratory, W. M. Keck Observatory

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