Kosmische Zeitreise: Astrophysiker haben die bisher größte und detaillierteste Simulation des frühen Universums erstellt. Sie zeigt erstmals im Detail, wie die Strahlung der ersten Galaxien den Kosmos veränderte und zur Reionisierung des interstellaren Wasserstoffgases führte. Damit beleuchten die Thesan-Simulationen eine entscheidende Umbruchsphase des Universums und bereiten gleichzeitig künftige astronomische Beobachtungen dieser Zeit vor.
Als rund 380.000 Jahre nach dem Urknall die ersten Atome entstanden, wurde das Universum zunächst dunkel und kalt. Denn es fehlten Sterne, die den Kosmos hätten erhellen könnte. Erst als sich einige hundert Millionen Jahre später die ersten Sterne und Galaxien bildeten, endete die dunkle Phase und ein weiterer Wandel bahnte sich an: Die intensive Strahlung der jungen Sterne ionisierte die interstellaren Wasserstoffwolken und schuf so wichtige Voraussetzungen für die weitere Entwicklung.
Doch wann genau diese kosmische Reionisierung stattfand und wie sie ablief, ist bisher unklar. Bisherige Simulationen der kosmischen Frühzeit waren zu grob oder zeigten zu kleine Ausschnitte, um die komplexen Wechselwirkungen und ihre Folgen abzubilden.
Galaxien, Strahlung, Gas und Staub
Das hat sich nun geändert. Einem Team um Aaron Smith vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) ist es gelungen, die bisher umfangreichste und gleichzeitig genaueste Simulation des frühen Universums zu erstellen. Die nach der etruskischen Göttin der Morgenröte „Thesan“ getaufte Simulation zeigt, was in einem 300 Millionen Lichtjahre großen Ausschnitt des Kosmos in der ersten Milliarde Jahre nach dem Urknall passierte.
„Thesan fungiert als Brücke zum frühen Universum“, sagt Smith. Grundlage der Simulation bildete das hochauflösende Modell der Galaxienbildung Illustris-TNG, das die Entwicklung der ersten Sternansammlungen nachvollzieht. Dieses ergänzten die Forschenden durch einen neuentwickelten Algorithmus, der auf Basis physikalischer Gesetzmäßigkeiten rekonstruiert, wie die Strahlung der Sterne und Galaxien die Gase in ihrer Umgebung beeinflusst.
Ergänzt wurde dies durch eine Rekonstruktion der kosmischen Staubverteilung. Die Berechnung der Simulation in einem der weltstärksten Supercomputer benötigte 30 Millionen CPU-Stunden auf 60.000 Rechenkernen gleichzeitig – ein normaler Desktop-Computer hätte 3.500 Jahre dafür gebraucht.
Zurück zu den Anfängen
Das Ergebnis ist eine virtuelle Zeitreise, die die Entwicklung des frühen Universums mit einzigartiger Genauigkeit zeigt. Die zeitliche Spanne reicht von der Entstehung der Atome und der Freisetzung der kosmischen Hintergrundstrahlung rund 380.000 Jahre nach dem Urknall bis in die Zeit rund eine Milliarde Jahre später. Zum ersten Mal werden damit die Prozesse sichtbar, die die Reionisierung einläuteten und damit den Weg für den heutigen Kosmos bereiteten.
„Thesan ist die erste Simulation, die quantitativ erklärt, wie die ersten Galaxien das Gas in ihrer Umgebung verändern“, erklärt Koautor Enrico Garaldi vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching. Die ersten Ergebnisse stimmen bisher relativ gut mit den gängigen Modellen überein, enthüllen aber auch einige zuvor unbekannte Details.
Neues zur Lichtausbreitung und Reionisierungs-Hotspots
Eine dieser Erkenntnisse: Frühere Modelle gingen bereits davon aus, dass sich Licht und andere Strahlung in den Anfängen des Kosmos noch nicht sehr weit ausbreiten konnten. Erst gegen Ende der Reionisierung vergrößerte sich die Reichweite der Strahlung. Die Thesan-Simulation überprüft dies, indem sie die Strahlung individueller Galaxien und Galaxiencluster im damals relevanten UV-Bereich der sogenannte Lyman-Alpha-Strahlung modelliert.
Die Simulation enthüllt, dass die Veränderungen der Strahlungsreichweite während der Reionisierung noch dramatischer waren als bisher angenommen: „In der Frühzeit des Universums sind die Distanzen noch sehr klein, nehmen dann aber am Ende der Reionisierung in nur wenigen hundert Millionen Jahren um den Faktor zehn zu“, berichtet Koautor Rahul Kannan vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics.
Die ersten Ergebnisse legen zudem nahe, dass die massereichsten, hellsten Galaxien der damaligen Zeit auch die Treiber der Reionisierung waren: „Die Thesan-Simulationen bestätigen, dass sich große ionisierte Blasen um die jeweils hellsten Galaxien ihrer Epoche bildeten“, schreibt das Forschungsteam.
Ergänzung zu künftigen Teleskop-Beobachtungen
Wichtig ist die Simulation aber auch für künftige astronomische Beobachtungen, beispielsweise mit dem James-Webb-Weltraumteleskop. Denn dieses soll dank seiner scharfen Infrarotoptiken erstmals bis in die Epoche der Reionisierung zurückblicken. „An diesem Punkt kommt unsere Simulationen ins Spiel: Sie werden uns helfen, die Beobachtungen zu interpretieren und zu verstehen, was wir da sehen“, erklärt Kannan.
Und genau an dem Punkt wird es dann spannend: „Wenn unsere Thesan-Simulationen und Modelle zu dem passen, was das James-Webb-Teleskop findet, dann würde dies unsere Vorstellungen des Universums bestätigen“, sagt Koautor Mark Vogelsberger vom MIT. „Wenn es aber signifikante Abweichungen gibt, dann zeigt dies, dass unser Verständnis des frühen Universums nicht richtig ist.“ (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 2022; doi: 10.1093/mnras/stac713)
Quelle: Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, Massachusetts Institute of Technology (MIT), Max-Planck-Institut für Astrophysik