Astronomie

Megahalos in Galaxienhaufen entdeckt

Zehn Millionen Lichtjahre große Hüllen aus diffuser Radiostrahlung geben Astronomen Rätsel auf

Megahalo
Galaxienhaufen bilden die Knotenpunkte im kosmischen Netzwerk. Bei einigen dieser massereichen Galaxienverbunde haben Astronomen nun riesige Megahalos aus Radiostrahlung entdeckt. © ASTRON/Cuciti/Vazza/Gheller

Mysteriöse Giganten: Astronomen haben einen neuen Typ von Radioquellen im Kosmos entdeckt – gigantische Hüllen aus diffuser Radiostrahlung um vier große Galaxienhaufen. Diese Megahalos sind bis zu zehn Millionen Lichtjahre groß und gehören damit zu den größten Radioquellen im Universum. Sie unterscheiden sich deutlich von den 30-fach kleineren, schon bekannten Radiohalos in Galaxienhaufen. Wie die Megahalos entstehen und woher sie ihre Energie nehmen, ist noch ungeklärt, wie die Forschenden in „Nature“ berichten.

Galaxienhaufen gehören zu den größten Strukturen im Kosmos. Die aus Galaxien, Gaswolken und Dunkler Materie bestehenden Gebilde können mehrere tausend Galaxien umfassen und bis zu einer Billion Sonnenmassen in sich vereinen. Gängiger Theorie nach entstanden diese gewaltigen Materieansammlungen durch wiederholte Kollisionen kleinerer Galaxiencluster, wie sie auch heute noch zu beobachten sind.

Bei solchen Karambolagen in Galaxienhaufen führt die Interaktion der galaktischen Magnetfelder und Teilchenströme dazu, dass Elektronen fast bis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Durch die Bremswirkung ihrer Umgebung geben diese relativistischen Elektronen Energie in Form von Strahlung ab – ähnlich wie in einem Elektronensynchrotron. Im Falle der Galaxienhaufen erzeugt dies Radiostrahlung, die als Radiohalo im Zentrum dieser Gebilde beobachtbar ist.

Vier Galaxiencluster mit Megahalo

Doch das ist noch nicht alles, wie jetzt Astronomen um Virginia Cuciti von der Universität Hamburg entdeckt haben. Um die Radioemissionen von Galaxienhaufen näher zu erforschen, hatten sie 310 massereiche Galaxiencluster mit den Radioantennen des LOFAR-Radioteleskopverbunds untersucht. Die über Europa verteilt stehenden Radioantennen dieses Verbunds sind speziell für die Detektion niederfrequenter Radiowellen aus dem All ausgelegt.

Bei vier dieser Galaxienhaufen zeigte sich Überraschendes: Neben dem zentralen Radiohalo besaßen sie ein weit darüber hinausgehendes Feld diffuser Radiostrahlung. „Diese Radioemission füllt ein Volumen, das 30-mal größer ist als das der Radiohalos“, berichten Cuciti und ihr Team. Das von ihnen „Megahalo“ getaufte Phänomen erstreckte sich bei den vier Galaxienclustern über bis zu zehn Millionen Lichtjahre sichtbarer Größe.

Megahalo
LOFAR-Aufnahme der Radioemission des Galaxienhaufens ZwCl 0634.1+4750. Die Diagramme zeigen das Helligkeitsprofil und die Ausdehnung des Megahalos. © Cuciti et al./ Nature, CC-by

Klare Unterschiede zu bekannten Radiohalos

Nähere Analysen lieferten Hinweise darauf, dass die Megahalos nicht einfach nur eine größere Version der schon bekannten Radiohalos sein können. Denn deren Ausdehnung ist durch die schnell abnehmende Energie der beschleunigten Elektronen im Clusterzentrum begrenzt. Dies war auch in den aktuellen Daten zu beobachten: „Alle Profile zeigen zwei Komponenten: eine helle, vom Radiohalo dominierte Region, deren Helligkeit relativ schnell mit der Entfernung vom Clusterzentrum abnimmt, und eine ausgedehntere, weniger helle Komponente“, erklären die Astronomen.

Anders als bei den Radiohalos nimmt die Intensität der Megahalos nach außen hin nicht ab. „Die Oberflächenhelligkeit dieses Merkmals bleibt über mehr als 1,6 Millionen Lichtjahre hinweg weitgehend konstant“, berichtet das Team. Das Frequenzspektrum der diffusen, schwachen Radiostrahlung in den Megahalos hat zudem eine deutlich andere, steilere Form als bei den klassischen Radiohalos. „Dies ergänzt die Belege dafür, dass es sich bei den Megahalos um ein von den Radiohalos getrenntes Phänomen handelt“ betonen Cuciti und ihre Kollegen.

Mechanismus noch rätselhaft

Doch woher kommt die Radioemission der Megahalos? Gängige Modelle legen nahe, dass auch diese Radiostrahlung durch die Wechselwirkung beschleunigter Elektronen mit Magnetfeldern erzeugt werden muss. „Die Existenz der Megahalos demonstriert, dass auch jenseits des Rands der Radiohalos Mechanismen im Gange sein müssen, die ein Meer aus relativistischen Elektronen erhalten können“, konstatieren die Astronomen. Aber woher die Elektronen im Außenbereich des Galaxienhaufens ihre Energie und Beschleunigung nehmen, ist unklar.

Merkwürdig auch: Obwohl das intergalaktische Medium zum Außenbereich der Galaxiencluster um den Faktor fünf abnimmt, bleibt die Radiostrahlung im gesamten Bereich konstant. Um dies zu erklären, müsste nach Angaben der Astronomen entweder die Stärke der Magnetfelder nach außen hin zunehmen oder die Energiedichte des heißen Gases im intergalaktischen Medium. Denkbar wäre aber auch, dass Turbulenzen – beispielsweise durch das Einfallen von Materie in den Galaxienhaufen – die Triebkraft hinter den Megahalos sind.

„In jedem Fall deuten die beobachteten Eigenschaften der Megahalos darauf hin, dass sich entweder die makrophysikalischen oder die mikrophysikalischen Merkmale des Plasmas auf dem Weg vom Radiohalo zum Außenbereich verändern“, konstatieren Cuciti und ihre Kollegen. „Ob die Megahalos damit eine neue, eigene Klasse von Radioquellen neben den Radiohalos bilden, wird sich bei weiteren Untersuchungen dieser Emissionen zeigen müssen.“

„Nur die Spitze eines Eisbergs“

Noch haben die Astronomen diese Megahalos nur bei vier großen Galaxienhaufen nachgewiesen. Sie vermuten aber, dass es noch weit mehr davon gibt: „Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die vier entdeckten Megahalos nur die Spitze des Eisbergs eines weit verbreiteten kosmologischen Phänomens sind und künftige Beobachtungen weitere Megahalos zu Tage fördern werden“, sagt Cuciti. Denn die Radiostrahlung der Megahalos sei so schwach und diffus, dass viele Radioteleskope sie nicht detektieren können.

Das könnte sich aber bald ändern. So durchläuft LOFAR zurzeit ein großes Upgrade, um seine Empfindlichkeit zu erhöhen. Außerdem wird in den nächsten Jahren der Square Kilometre Array aufgebaut, ein ebenfalls auf mehrere Länder verteilter Verbund von Radioantennen, von denen die ersten bereits in Südafrika und Westaustralien installiert sind. (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-022-05149-3)

Quelle: Nature, Universität Hamburg

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