Astronomie

Rotiert Beteigeuze zu schnell?

Brodelnde Oberfläche des Roten Überriesen könnte Rätsel der hohen Rotationsrate lösen

Brodelnder Beteigeuze
Die Oberfläche von Roten Überriesen wie Beteigeuze ist von riesigen brodelnden Plasmablasen bedeckt. Könnten sie die Rotationsmessungen verfälscht haben? © Max-Planck-Institut für Astrophysik

Konvektion statt Rotation? Der Rote Überriese Beteigeuze gibt neue Rätsel auf. Denn Radiobeobachtungen zufolge rotiert der Schulterstern des Orion weit schneller als er dürfte – oder doch nicht? Eine mögliche Antwort könnten Astronomen nun gefunden haben: Verantwortlich für die vermeintliche Signatur der schnellen Rotation ist wahrscheinlich nicht die Drehung des Sterns, sondern das Auf- und Absteigen gigantischer Plasmablasen auf seiner Oberfläche.

Der rund 550 Lichtjahre entfernte Rote Überriese Beteigeuze ist rund 800-mal größer als die Sonne und hat eine zehntausendmal höhere Leuchtkraft. Für Aufsehen sorgt dieser enorm aufgeblähte Schulterstern des Orion jedoch vor allem deshalb, weil er sich seinem Ende in einer Supernova nähert. Ende 2019 schien ein starkes Abdimmen des Sterns sogar eine unmittelbar bevorstehende Explosion anzukündigen. Allerdings stellte sich später heraus, dass die Staubwolke eines gewaltigen Plasmaausbruchs den Stern verdunkelt hatte. Wann Beteigeuze explodieren wird, bleibt daher weiterhin unklar.

Beteigeuze
Der Rote Überriese Beteigeuze ist ein Schulterstern des Orion und so groß, dass er in unserem Sonnensystem bis über den Jupiter hinaus reichen würde.© NASA/ESA, STScI/ Hubble

Ungewöhnlich schnelle Rotation…

Der nahe Riesenstern gibt Astronomen jedoch ein weiteres Rätsel auf: Aufnahmen der gekoppelten Radioteleskope des ALMA-Observatoriums (Atacama Large Millimeter/submillimeter Array) legen nahe, dass sich Beteigeuze ungewöhnlich schnell dreht. Mit mehr als fünf Kilometern pro Sekunde liegt sein Rotationstempo rund 50-mal höher als für einen Roten Überriesen seiner Größe üblich. Denn normalerweise werden Sterne beim Ausdehnen immer langsamer.

„Bisher ist Beteigeuze der einzige Rote Überriese, für den eine so schnelle Rotation angenommen wird“, erklären Jing-Ze Ma vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching und sein Team. „Seine Oberflächenkarte der Radialgeschwindigkeiten zeigt eine bemerkenswert deutliche bipolare Struktur: Eine Hälfte seiner sichtbaren Oberfläche zeigt eine Blauverschiebung, die andere eine Rotverschiebung von mehreren Kilometern pro Sekunde.“

Doch wie ist diese ungewöhnlich schnelle Rotation des nahen Riesen zu erklären? Eine mögliche Ursache könnte sein, dass Beteigeuze bei seinem Aufblähen einen kleineren Partnerstern verschlungen hat. „Dies mag wie eine ziemlich exotische Erklärung klingen, aber massereiche Sterne interagieren sehr oft mit nahen Begleitern“, erklären die Astronomen. Dieser verschlungene Stern würde dann seinen Drehimpuls auf die äußere Hülle von Beteigeuze übertragen – und so dessen Rotation beschleunigen.

…oder doch nicht?

Allerdings gäbe es noch eine weitere Erklärung, wie nun Ma und seine Kollegen berichten. Denn Beteigeuzes Oberfläche ist von starken Konvektionsströmungen geprägt. Riesige Blasen auf- und absteigenden Plasmas lassen seine Oberfläche brodeln. Bei einem Überriesen wie Beteigeuze können diese Plasmablasen weite Teile seiner sichtbaren Oberfläche einnehmen. Das Entscheidende daran: Die schnelle Bewegung dieser Blasen kann ebenfalls eine Rot- und Blauverschiebung der Radiostrahlung bewirken.

„Wenn sich durch Zufall eine sehr große Konvektionsblase oder eine ganze Gruppe solcher Zellen auf den Beobachter zubewegt, eine andere dagegen von ihm weg, dann kann dies ein bipolares Geschwindigkeitsfeld erzeugen“, erklären die Forschenden. Sogar ein nichtrotierender Stern kann dadurch theoretisch so aussehen, als wenn er sich schnell dreht.

Simulation und Realität
Vergleich Simulation und reale Beobachtungen für Beteigeuze: Intensitätskarten (oben) und Karten der Radialgeschwindigkeit (unten) in der hochaufgelösten Simulation (links), in reduzierter Auflösung (Mitte) und zum Vergleich die echten ALMA-Beobachtungen (rechts). © Ma et al. / MPI für Astrophysik

Plasmablasen statt Rotation

Die Frage ist jedoch, ob dieses Brodeln von Beteigeuze tatsächlich die von ALMA erstellten Aufnahmen und Messdaten erklären kann. Um das zu klären, haben Ma und seine Kollegen in einem astrophysikalischen Modell zunächst verschiedene Varianten der Konvektionsströmungen und Blasen auf Beteigeuze reproduziert. Dann machten sie diese 3D-Simulationen künstlich genauso unscharf, wie der Riesenstern in den Aufnahmen der ALMA-Teleskope erscheint.

Das Ergebnis: „Unsere auf Basis dieser Simulationen erzeugten Karten der Radialgeschwindigkeit haben eine 90-prozentige Chance, fälschlich als Beleg für eine Rotationrate von zwei Kilometern pro Sekunde und mehr interpretiert zu werden“, konstatieren die Astronomen. Durch die geringe Auflösung der ALMA-Aufnahmen erscheinen die Bewegungen der Sternenoberfläche auch dann oft zweigeteilt, wenn nicht die Rotation, sondern die Konvektion sie erzeugt.

Drei mögliche Szenarien

Nach Ansicht des Forschungsteams bleibt demnach offen, wie schnell Beteigeuze wirklich rotiert. Denn drei sehr verschiedene Szenarien könnten die ALMA-Messungen erklären. Die erste ist eine tatsächlich „zu schnelle“ Rotation – möglicherweise durch die Verschmelzung des Überriesen mit einem kleineren Begleitstern. Das zweite Szenario ist eine Verfälschung der Messungen durch einige wenige, aber sehr große Konvektionszellen. Im dritten Szenario sorgen Gruppen kleinerer, sich gemeinsam bewegender Plasmablasen für den gleichen Effekt.

Welches Szenario bei Beteigeuze zutrifft, hoffen die Astronomen durch etwas höher aufgelöste ALMA-Beobachtungen klären zu können. Eine erste Kampagne ist bereits 2022 erfolgt, die Daten werden zurzeit noch ausgewertet. (Astrophysical Journal Letters, 2024; doi: 10.3847/2041-8213/ad24fd)

Quelle: Max-Planck-Institut für Astrophysik

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