Wellen im Sonnensystem: Die Methan- und Ethan-Seen des Saturnmonds Titan könnten ähnlich wie irdische Wasserseen Wellen schlagen, wie Astronomen herausgefunden haben. Demnach deutet das Muster der erodierten Küstenlinien von Titans Seen am ehesten auf ein solches Szenario hin. Endgültige Beweise in Form direkter Beobachtungen stehen allerdings weiterhin aus.
Der Saturnmond Titan ist neben der Erde der einzige Himmelskörper im Sonnensystem mit Seen und Flüssen. Diese sind allerdings nicht mit Wasser gefüllt, sondern mit flüssigem Methan und Ethan, das aus der dichten Atmosphäre des Mondes herabregnet. Seit die NASA-Raumsonde Cassini im Jahr 2007 die ersten Radarbilder dieser einzigartigen Landschaften aufgenommen hat, debattieren Wissenschaftler über die Eigenschaften und den Ursprung der Gewässer. Ein großer Streitpunkt liegt zum Beispiel darin, ob die Seen des Titan so wie auf der Erde Wellen schlagen oder komplett still sind.
Wellig oder glatt?
„Einige Leute, die nach Beweisen für Wellen suchten, sahen keine und sagten: ‚Diese Seen sind spiegelglatt‘. Andere sagten, sie hätten eine gewisse Rauheit auf der flüssigen Oberfläche gesehen, waren sich aber nicht sicher, ob sie durch Wellen verursacht wurde“, erklärt Rose Palermo vom U.S. Geological Survey. Da die Bilder allein also offenbar nicht ausreichen, um die Wellenfrage endgültig zu beantworten, sind Palermo und ihr Team dem Rätsel nun auf Umwegen nachgegangen.
Statt die Gewässeroberfläche nach Anzeichen für Wellen abzusuchen, begannen die Forschenden ihre Suche an den erodierten Küstenlinien der Seen und Flüsse. Die Idee: Wenn es auf Titan wirklich Wellen gibt, dann müssen diese auch Teile der Ufer abtragen und dabei charakteristische Muster hinterlassen. Um herauszufinden, ob die Erosion der Küstenlinien tatsächlich durch Wellen zustande gekommen ist oder doch eher dadurch, dass die Küste allmählich unter ihrem eigenen Gewicht wegrutscht, führten Palermo und ihre Kollegen Computersimulationen beider Szenarien in hunderten verschiedenen Varianten durch.
Muster verraten Erosions-Ursprung
Dabei zeigte sich: Die beiden Szenarien hätten jeweils ein komplett unterschiedliches Aussehen der Küstenlinien zur Folge. So würde etwa die wellenbedingte Erosion die Ufer in langen Abtragungsstrecken sichtbar glätten, in überfluteten Tälern jedoch schmale und raue Formen hinterlassen. Bei einer wellenunabhängigen Erosion hingegen entstünden stattdessen vermehrt aufgeblähte Uferlinien, wie Palermo und ihr Team berichten. Ein Vergleich mit den Erosionsmustern irdischer Seen bestätigte die Ergebnisse der Simulationen.
Anschließend glichen die Forschenden ab, zu welchem der beiden simulierten Muster die tatsächlichen Küstenlinien von Titan am besten passen. Dabei konzentrierten sie sich auf vier der größten und am besten kartierten Seen des Saturnmondes: Kraken Mare, der von der Größe her mit dem Kaspischen Meer vergleichbar ist, Ligeia und Punga Mare sowie Ontario Lacus, der etwa fünfmal kleiner ist als der Ontariosee, sein irdischer Namensvetter.
Auf Titan könnte es tatsächlich Wellen geben
Das Ergebnis: Die Ufer aller vier Seen passen sehr gut in das wellengetriebene Erosionsmodell, könnten also tatsächlich von Wellen geformt worden sein, wie das Forschungsteam berichtet. „Wenn wir am Rande eines der Seen des Titan stehen könnten, würden wir Wellen aus flüssigem Methan und Ethan sehen, die an die Küste klatschen und bei Stürmen auf die Küsten prallen. Und sie wären in der Lage, das Material, aus dem die Küste besteht, abzutragen“, erklärt Seniorautor Taylor Perron vom Massachusetts Institute of Technology (MIT).
Die Forschenden betonen allerdings, dass ihre Ergebnisse noch nicht endgültig sind. Um wirklich final zu bestätigen, dass es auf Titan Wellen gibt, seien direkte Beobachtungen der Wellenaktivität auf der Mondoberfläche unabdingbar. Aber: „Auf der Grundlage unserer Ergebnisse können wir zumindest sagen, dass, wenn die Küstenlinien von Titans Seen erodiert sind, Wellen die wahrscheinlichste Ursache sind“, sagt Perron. In einem nächsten Schritt wollen er und seine Kollegen nun herausfinden, wie stark die Winde auf Titan sein müssten, um auf den Seen eigene Wellen zu erzeugen. (Science Advances, 2024; doi: 10.1126/sciadv.adn4192)
Quelle: Massachusetts Institute of Technology