Sonnensystem

Schrumpft Merkur noch immer?

Junge Gräben auf Stauchungsfalten sprechen für bis heute anhaltende Schrumpfung des Planeten

Merkur
Der Planet Merkur in einer Falschfarbenaufnahme der Messenger-Sonde der NASA. Seine Oberfläche ist nicht nur von Kratern geprägt, sondern zeigt auch tektonische Spuren einer Schrumpfung. © NASA/Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory/Carnegie Institution of Washington

Noch aktiv: Der Planet Merkur ist wahrscheinlich noch immer in Bewegung – er wird kleiner. Belege für dieses anhaltende Schrumpfen des innersten Planeten liefern kleine, frische Gräben auf der Merkuroberfläche. Sie finden sich entlang von älteren Stauchungsfalten und sprechen dafür, dass dort die Merkurkruste weiterhin gestaucht und gebogen wird, wie Forschende in „Nature Geoscience“ berichten. Sie schätzen das Alter dieser Gräben auf maximal 300 Millionen Jahre, viele davon könnte aber deutlich jünger sein.

Der Merkur ist in vieler Hinsicht ein Sonderling: Der sonnennächste Planet ist kleiner, dichter und älter als alle anderen im Sonnensystem. Außerdem rotiert er schneller als er dürfte, seine Kruste ist überraschend dünn und er besitzt den im Verhältnis größten Planetenkern des Sonnensystems.

Rupes auf dem Merkur
An vielen Stellen der Merkur-Oberfläche zeigen Steilstufen im Gelände, sogenannte Rupes, eine Stauchung an, wie hier die Carnegie Rupes. © NASA/JHUAPL/CIW

Wie alt sind die Schrumpfungs-Spuren?

Als wäre dies nicht genug, zeigt der Merkur auch auffallende Oberflächenstrukturen in Form langgestreckter Steilstufen, sogenannter Rupes. Diese Stauchungsfalten deuten darauf hin, dass der Merkur geschrumpft sein muss – insgesamt um mindestens sieben Kilometer. „Sie sind wie die Runzeln eines alternden Apfels, nur das er schrumpft, weil er austrocknet, während der Merkur schrumpft, weil sich sein Inneres abkühlt und zusammenzieht“, erklärt Koautor David Rothery von der Open University im britischen Milton Keynes.

Doch wann ereignete sich diese Schrumpfung des Planeten? Und hält sie möglicherweise noch heute an? „Einigkeit herrscht darüber, dass die Steilstufen des Merkur meist mehr als drei Milliarden Jahre alt sind“, sagt Doherty. „Aber sind alle von ihnen so alt? Und haben sie mit ihrer Bewegung aufgehört oder sind sie noch heute aktiv?“ Um dieser Frage nachzugehen, haben Rothery, sein Kollege Benjamin Man und ihr Team in den Aufnahmen der NASA-Merkur-Sonde Messenger nach weiteren potenziellen Spuren frischer tektonischer Aktivität gesucht.

Dehnungsgräben auf Stauchungsfalten

Tatsächlich wurden sie fündig: Parallel zu vielen Rupes-Stauchungsfalten auf der Merkuroberfläche entdeckten die Planetenforscher zahlreiche kleinere Gräben. Diese eingesackten Stellen laufen parallel zu den Rupes und sind typischerweise von zwei Bruchstufen eingerahmt. „Die Gräben sind rund zehn bis 150 Meter tief, Dutzende Kilometer lang und meist weniger als einen Kilometer breit“, berichten Man und seine Kollegen. Insgesamt identifizierten sie 727 mögliche Gräben, davon 190 mit hoher Sicherheit.

GRäben
Beispiele für kleine, junge Gräben, die parallel zu den größeren Rupes aufgerissen sind. © Man et al./ Nature Geoscience, CC-by 4.0; NASA/JHUAPL/CIW

Merkwürdig jedoch: Solche Gräben entstehen normalerweise, wenn der Untergrund gedehnt wird. Auf den ersten Blick ist dies daher ein Widerspruch zum Schrumpfen des Merkur. Doch die Lage der Gräben unmittelbar neben den Stauchungsfalten der Rupes deutet auf einen eng mit dem Schrumpfen verknüpften Prozess hin, wie Man und seine Kollegen erklären: Wenn die Merkurkruste durch das Stauchen aufgewölbt wird, wird das Gestein an der Oberseite dieser Wölbung gedehnt und kann als tektonischer Graben einbrechen.

Gräben sind geologisch jung

Das Spannende an diesen Gräben ist jedoch ihre geringe Größe: Weil der Merkur keine schützende Atmosphäre besitzt, wird seine Oberfläche ständig von kleinen und kleinsten Meteoriten getroffen. Dies sorgt dafür, dass kleinere Oberflächenstrukturen normalerweise schnell erodieren und eingeebnet werden. Planetenforscher bezeichnen dies als „Impakt-Gardening“. Um herauszufinden, wie stark die von ihnen entdeckten Gräben bereits von dieser Erosion betroffen sind, nutzten Man und sein Team den Schattenwurf von 99 Gräben, um auch deren Tiefe genauer zu ermitteln.

Das Ergebnis: Die Merkur-Gräben sind größtenteils zu tief und klar abgegrenzt, um aus der Frühzeit des Planeten zu stammen. Stattdessen müssen sie geologisch noch sehr jung sein: “Wir haben ermittelt, dass die Mehrheit dieser Gräben weniger als rund 300 Millionen Jahre alt sein muss“, berichtet Rothery. Einige dieser Brüche könnten sogar noch jüngeren Ursprungs sein. Sie liefern damit weitere Bestätigung dafür, dass der Planet Merkur auch Milliarden Jahre nach seiner Entstehung noch immer schrumpft.

Was verursachte die verzögerte Abkühlung?

Aber warum? Weshalb ist der Merkur nicht schon längst stärker ausgekühlt? Schon länger gibt es dazu verschiedenen Erklärungsansätze. So könnten eine außergewöhnlich dicke, isolierende Regolithschicht, der besonders große Planetenkern und ein eher träger, kaum von Umwälzströmungen durchmischter Gesteinsmantel zum verzögerten Abkühlen des Planeten beigetragen haben, wie die Forschenden erklären.

„Eine anhaltende Aktivität tektonischer Strukturen auf dem Merkur durch diese verzögerte Abkühlung wird schon länger postuliert“, schreiben Man und sein Team. „Die hier präsentierten Belege in Form der kleinen Gräben bestätigt dies nun.“ Sie hoffen, dass die Merkursonde BepiColombo nach ihrem Einschwenken in den Merkurorbit im Jahr 2025 dazu noch mehr und genauere Daten liefern wird. (Nature Geoscience, 2023; doi: 10.1038/s41561-023-01281-5)

Quelle: Nature Geoscience, The Conversation

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