Verborgene Brutstätte: Astronomen könnten herausgefunden haben, wo und wie intermediäre Schwarze Löcher entstehen – eine bisher rätselhafte Zwischenform solcher Singularitäten. Demnach könnte das dichte Zentrum von Kugelsternhaufen die Geburtsstätte dieser „mittelschweren“ Schwarzen Löcher sein – allerdings nur, wenn die Sternhaufen noch sehr jung sind, wie das Team in „Science“ demonstriert. Auch im Umfeld unserer Milchstraße könnte es demnach intermediäre Schwarzer Löcher geben.
Sie sind das „Missing Link“ unter den Schwarzen Löchern: Intermediäre Schwarze Löcher sind rund 100 bis zehntausende Sonnenmassen schwer und liegen damit genau in der Lücke zwischen den stellaren Schwarzen Löchern aus Sternexplosionen und den supermassereichen Exemplaren, die im Laufe von hunderten Millionen Jahren im Zentrum von Galaxien herangewachsen sind. Doch wie die Zwischenform beider entsteht, ist bisher rätselhaft.
Rätsel um die Bildung der Intermediären
Einer der Gründe dafür: Intermediäre Schwarze Löcher sind extrem rar – es gibt nur eine Handvoll möglicher Kandidaten. Zu ihnen gehört ein LB-1 getauftes Objekt von etwa 70 Sonnenmassen, ein weiteres mit 428 Sonnenmassen sowie eine rund 50.000 Sonnenmassen schwere Röntgenquelle, deren Strahlungssignatur auf ein aktives intermediäres Schwarzes Loch hindeuten könnte.
Doch wie sind diese Zwischenformen entstanden? Die leichtesten Exemplare könnten zwar das Ergebnis einer Verschmelzung stellarer Schwarzer Löcher sein, wie Gravitationswellen-Daten nahelegen. Doch für die schwereren intermediären Schwarzen Löcher fehlt bisher eine schlüssige Erklärung. Astronomen haben dazu nur mehrere Hypothesen, darunter serielle Verschmelzungen oder den spontanen Kollaps dichter Gaswolken direkt zum Schwarzen Loch – ähnlich wie es für die Vorläufer supermassereicher Schwarzer Löcher im frühen Kosmos postuliert wird.
Kugelsternhaufen als Brutstätte?
Es gibt aber noch ein mögliches Szenario: Nach diesem könnte das dichte Zentrum von Kugelsternhaufen eine „Brutstätte“ für intermediäre Schwarze Löcher sein. Dort liegen massereiche Sterne so dicht beieinander, dass sie oft miteinander kollidieren und verschmelzen. Wenn dann die resultierenden Riesensterne in einer Supernova explodieren, könnten auch die dabei gebildeten Schwarzen Löcher miteinander verschmelzen – und so zur mittleren Größe heranwachsen. Hinweise auf Ansammlungen stellarer Schwarzer Löcher in solchen Kugelsternhaufen haben Astronomen bereits gefunden.
Das Problem jedoch: Extrem massereiche Sterne in Kugelsternhaufen verlieren vor ihrer Supernova einen großen Teil ihrer Masse durch starke Sternenwinde. „Dadurch entwickeln sie sich zu Schwarzen Löchern mit deutlich weniger als rund 1.000 Sonnenmassen“, erklären Michiko Fuji von der Universität Tokio und ihre Kollegen. Wie aber entstehen dann die größeren Exemplare?
Entwicklung jedes einzelnen Sterns rekonstruiert
Darauf könnten die Astronomen nun eine Antwort gefunden haben. Für ihre Studie haben Fuji und ihr Team die Vorgänge im Herzen von Kugelsternhaufen noch einmal näher untersucht – und sich dabei auf die Anfangszeit dieser Sternenansammlungen konzentriert. „In dieser Phase sind die jungen Sternhaufen noch in ihre Ursprungswolke aus kalten molekularen Gasen gehüllt“, erklären sie. Dieser dichte, schwere Kokon drängt Gas und Sterne im Zentrum der jungen Haufen noch enger zusammen.
„Uns ist es nun erstmals gelungen, in numerischen Simulationen nachzuvollziehen, wie sich einzelne Sterne in dieser Frühphase von Kugelsternhaufen entwickeln“, berichtet Fuji. Bisher war der Rechenaufwand dafür zu hoch, daher musste das Team zunächst ein neuartiges Simulationsprogramm entwickeln. „Indem wir nun einzelne Sterne mit realistischen Massen verfolgen, können wir auch ihre Kollisionen in dieser Umgebung rekonstruieren“, so die Astronomin.
Massenkarambolage im Haufenzentrum
Die Simulation enthüllte: Junge Kugelsternhaufen können durchaus zu Brutstätten für intermediäre Schwarze Löcher werden. Denn der dichte Gaskokon hemmt den Sternenwind und sorgt gleichzeitig für ein noch dichteres Gedränge unter den Jungsternen. „Die Sternendichte liegt bei mehr als zehn Millionen pro Kubikparsec – das ist mehr als genug, um Serienkollisionen auszulösen“, berichten die Astronomen.
Noch wichtiger jedoch: Durch das enge Gedränge kollidieren und verschmelzen die Sterne so schnell, dass sie kaum Zeit haben, viel Masse durch ihren starken Sternenwind zu verlieren. In der Simulation entstand durch solche Massenkarambolagen in jedem Kugelsternhaufen mindestens ein extrem massereicher Riesenstern von mindestens 1.000 Sonnenmassen. „Das ist weit schwerer als jeder heute bekannte Stern“, so das Team. Diese kurzlebigen Extremsterne können dann weiterverschmelzen oder direkt zum Schwarzen Loch kollabieren – und so intermediäre Schwarze Löcher bilden.
Auch in der Milchstraße
Nach Schätzungen der Astronomen könnten sich solche noch unentdeckten intermediären Schwarzen Löcher auch in den alten Kugelsternhaufen der Milchstraße verbergen. „Solche Sternhaufen mit anfänglicher Masse von mehr als einer Million Sonnenmassen könnten Schwarze Löcher von mehr als 2.000 Sonnenmassen produziert haben“, schreiben Fuji und ihr Team. Die Chance sei daher groß, dass zumindest einige alte, metallarme Kugelsternhaufen in unserer Nachbarschaft diese rare Zwischenform der Schwarzen Löcher enthalten.
Jetzt müssen Astronomen diese verborgenen Intermediären nur noch finden – keine ganz leichte Aufgabe. Denn das dichte Gedränge im Zentrum der Kugelsternhaufen erschwert auch den Nachweis solcher verborgener Schwarzer Löcher. (Science, 2024; doi: 10.1126/science.adi4211)
Quelle: The University of Tokyo