Galaxie statt Sternenschweif: Die Entdeckung eines ersten Schwarzen Lochs mit einem Sternschweif hat kürzlich Aufsehen erregt. Doch nun gibt es Zweifel: Der vermeintliche Schweif ist möglicherweise nur die Schmalseite einer Hintergrundgalaxie, wie Astronomen auf Basis neuer Analysen berichten. Demnach passen Geschwindigkeit, Sternenmasse, Helligkeit und Form des Objekts nahezu perfekt zu einer dünnen Galaxie ohne zentralen Bulge.
Mitte April 2023 berichteten Astronomen um Pieter van Dokkum von der Yale University von einem spektakulären Fund: Sie hatten erstmals ein supermassereiches Schwarzes Loch entdeckt, das aus seiner Heimatgalaxie ausgeschleudert worden war und nun einen 200.000 Lichtjahre langen Sternenschweif hinter sich herzog. Ihren Analysen zufolge bewegt sich der Schweif aus jungen Sternen und Gas mit rund 1.600 Kilometern pro Sekunde und umfasst rund drei Milliarden Sonnenmassen an Sternen.
Gibt es eine naheliegendere Erklärung?
„Aber obwohl diese Interpretation zweifellos spannend ist, birgt sie einige physikalische Schwierigkeiten“, erklären Jorge Sánchez Almeida vom Astrophysikalischen Institut der Kanaren und seine Kollegen. Denn um den Sterneschweif zu erklären, wären einige außergewöhnliche Umstände nötig. Deshalb haben die Astronomen nach einer Erklärung für den lange, dünnen Sternenstreifen gesucht, der weniger exotisch ist und einige der physikalischen Ausnahmen überflüssig macht.
Auf der Suche nach kosmischen Phänomenen, die ähnlich aussehen und sich ähnlich verhalten wie der vermeintliche Sterneschweif, stießen die Forschenden auf eine verblüffend simple Erklärung: Hinter dem Schwarzen Loch könnte eine dünne Galaxie liegen, die wir von der Schmalseite sehen und die daher wie ein schmaler Sternenstreifen erscheint. „Die Bewegung, die Größe und die Menge der Sterne passen zu typischen Galaxien im lokalen Universum“, erklärt Almeida.
Dünne Galaxie statt Schweif
Um diesem Verdacht nachzugehen, verglichen die Astronomen den vermeintlichen Sternenschweif mit den Merkmalen einer von der Schmalseite gesehenen Galaxie ohne zentralen Bulge. Solche Galaxien ohne dickere „Beule“ in der Mitte sind im Kosmos durchaus häufig, wie das Team erklärt. Eine von ihnen ist die rund 104 Millionen Lichtjahre entfernte dünnen Galaxie IC5249, die rund 1,9 Milliarden Sonnenmassen an Sternen enthält und die in Aufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops große Ähnlichkeit mit dem Sternenschweif zeigt.
Die Vergleiche beider Objekte ergaben gleich mehrere Übereinstimmungen: Die Geschwindigkeit der Sterne im Schweif entspricht ziemlich genau der Rotationsgeschwindigkeit dieser dünnen Galaxie. Betrachtet man sie vom Rand aus, scheinen sich auch ihre Sterne schnell in eine Richtung zu bewegen. „Diese nahe Galaxie und das schweifartige Objekt haben zudem fast identische Lichtfarben, was auf ein ähnliches Masse-zu-Helligkeits-Verhältnis hindeutet“, berichten Almeida und seine Kollegen.
Übereinstimmungen in Verhalten, Form und Helligkeit
Ein weiteres Indiz lieferte eine Analyse der sogenannten Tully-Fisher-Beziehung. Sie beschreibt das für Galaxien typische Verhältnis von Sternenmasse zur Rotationsgeschwindigkeit. „In der Praxis gilt dies als Schlüsselmerkmal für eine Galaxie“, erklären die Astronomen. Die Analyse ergab: Beide Objekte, Sternenschweif und die Galaxie IC5249, stimmen mit den Vorgaben der Tully-Fisher-Beziehung überein. „Das Objekt liegt genau auf der Linie – es verhält sich demnach wie eine Galaxie“, sagt Almeida.
Und auch optisch ähnelt der vermeintliche Schweif stark einer dünnen Galaxie: Form und Größe stimmen fast genau überein, wie die Astronomen berichten. „Die Helligkeitsprofile von IC5249 und dem Objekt entlang der großen Halbachsen sind ebenfalls sehr ähnlich“, schreiben die Astronomen. „Beide Profile sind ziemlich flach mit einem scharfen Abfall am Rand.“
Hinzu kommt: Die relativ gleichmäßige Helligkeit entlang des Sternenstreifens widerspricht der Annahme, dass es sich um eine mit Abstand vom Schwarzen Loch immer älter werdende Population von Sternen handelt. „Wäre das der Fall, würden wir eine Abnahme der Luminosität von den ältesten zu den jüngsten Sternen um rund zwei Magnituden erwarten – aber eine solche Veränderung der Magnitude ist schlicht nicht erkennbar“, so das Team.
„Handfeste Argumente“ gegen einen Schweif
Nach Ansicht von Almeida und seinem Team ist es demnach sehr wahrscheinlich, dass es sich bei den langen Sternenstreifen nicht um den „Schweif“ eines Schwarzen Lochs, sondern nur um eine seitlich gesehene Galaxie handelt. „Dieses Szenario ist viel simpler und wir haben eine Reihe handfester Argumente, die dieses Szenario stützen“, konstatieren sie.
Allerdings räumen die Astronomen ein, dass es auch in ihrem Szenario einige noch zu erklärende Merkmale gibt. So ist der Sternenstreifen ein wenig welliger und unregelmäßiger als es bei den meisten seitlich gesehenen Galaxien der Fall ist. „Dies könnte auf Beulen in der Galaxienscheibe zurückgehen oder auf die Beobachtung im UV-Bereich, in dem Galaxien unregelmäßiger erscheinen“, erklären Almeida und seine Kollegen.
Eine weitere Abweichung: Das Lichtspektrum der Sterne verändert sich mit wachsendem Abstand vom Schwarzen Loch ins Rötliche, was auf ein zunehmendes Alter hindeutet. Nach Angaben der Forschenden könnte dies aber auch in einer Galaxie vorkommen, wenn dort alte und junge Sternenpopulationen gemischt vorliegen. Welches Szenario tatsächlich zutrifft und ob es sich bei dem Sternenstreifen wirklich um eine Galaxie handelt, müssen nun weitere Beobachtungen klären. (Astronomy and Astrophysics, 2023; doi: 10.1051/0004-6361/202346430)
Quelle: Instituto de Astrofísica de Canarias (IAC)