Schwerer als die Theorie erlaubt: Astronomen habe ein stellares Schwarzes Loch entdeckt, das es eigentlich nicht geben dürfte. Denn mit rund 70 Sonnenmassen ist es gängiger Theorie nach viel zu schwer, um aus einem normalen massereichen Stern entstanden zu sein, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten. Ob das Schwarze Loch möglicherweise aus einer Verschmelzung hervorgegangen ist oder ob die Theorie nachgebessert werden muss, bleibt vorerst offen.
Wenn ein massereicher Stern am Ende seines Lebenszyklus angelangt ist, schleudert er seine äußeren Hüllen ab und explodiert in einer Supernova. Dabei implodiert der Sternenkern und es entsteht ein Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch. Aufspüren ließen sich solche stellaren Schwarzen Löcher bisher nur dann, wenn sie Material von einem Begleitstern absaugen – dann verrät sie die dabei entstehende Röntgenstrahlung.
Astronomen kennen bisher nur rund zwei Dutzend solcher stellaren Schwarzen Löcher in der Milchstraße – und keines davon ist schwerer als rund 30 Sonnenmassen. Dies passt zur gängigen Theorie, nach der massereiche Sterne mit Zusammensetzungen ähnlich der Sonne keine schwereren Schwarzen Löcher hervorbringen können.
Doppelt so schwer wie eigentlich möglich
Doch nun haben Astronomen um Jifeng Liu von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften ein stellares Schwarzes Loch entdeckt, das dieser Theorie widerspricht. Das Objekt liegt rund 15.000 Lichtjahre von uns entfernt und ist Teil eines Doppelsystems – es hat einen rund acht Sonnenmassen schweren Begleitstern. Aufgespürt haben die Forscher das Schwarze Loch unter anderem mithilfe des Large Sky Area Multi-Object Fiber Spectroscopic Telescope (LAMOST). Dieses machte das Taumeln sichtbar, das die Schwerkraft des unsichtbaren Schwarzen Lochs bei diesem Stern erzeugt.
Die Analysen ergaben: Das stellare Schwarze Loch in diesem Doppelsystem muss knapp 70 Sonnenmassen schwer sein. „LB-1 ist damit doppelt so schwer wie wir es für möglich hielten“, sagt Liu. „Schwarze Löcher einer solchen Masse dürften nach den meisten gängigen Modellen der stellaren Entwicklung in unserer Galaxie eigentlich gar nicht existieren.“ Denn gängiger Vorstellung nach verlieren massereiche Sterne den Großteil ihres Materials schon vor der Supernova.
In Wirklichkeit ein Dreiersystem?
Wie aber ist dieses Schwarze Loch dann zu erklären? Bisher können die Astronomen darüber nur spekulieren. Eine Möglichkeit wäre ihrer Ansicht nach, dass es nicht aus einem explodierenden Stern hervorgegangen ist, sondern aus der Verschmelzung zweier Sterne. „Vielleicht war LB-1 ursprünglich ein Dreifachsystem und das Schwarze Loch ist aus den inneren beiden Sternen entstanden“, mutmaßen die Forscher. Dafür könnte sprechen, dass der übrigbleibende Stern und das Schwarze Loch einander in relativ weitem Abstand umkreisen – ein Umlauf des Sterns dauert rund 79 Tage.
Es könnte aber auch sein, dass der unsichtbare Massegigant gar nicht aus nur einem Schwarzen Loch besteht: „Eine aufregende Möglichkeit wäre, dass die dunkle Masse zwei Schwarze Löcher enthält, die einander als Doppelsystem umkreisen“, so die Astronomen. Dann würden die beiden Schwarzen Löcher jeweils nur rund 35 Sonnenmassen umfassen – ein Wert, der mit gängigen Modellen schon besser erklärbar wäre. Allerdings wäre dies dann das erste Beispiel eines Dreiersystems aus zwei Schwarzen Löchern und einem Stern.
„Herausforderung für die Theoretiker“
Damit scheint klar: Welches Szenario auch immer zutrifft – LB-1 ist in jedem Fall sehr ungewöhnlich. „Die Theoretiker stehen nun vor der Herausforderung, die Bildung dieses Systems zu erklären“, sagt Liu. Ob es in der Milchstraße noch mehr solcher überschweren stellaren Schwarzen Löcher gibt, könnte sich bald zeigen. Denn die Beobachtung mit LAMOST markiert auch das erste Mal, dass ein Schwarzes Loch nicht über Röntgenstrahlung, sondern über das Taumeln des Begleitsterns nachgewiesen wurde. Die Forscher hoffen daher auf Folgefunde.
Interessant auch: LB-1 ist zwar das mit Abstand schwerste stellare Schwarze Loch, das je gefunden wurde. Aber auch die Gravitationswellen-Detektoren LIGO und Virgo haben in den letzten Jahren einige kollidierende Schwarze Löcher nachgewiesen, die mit bis zu 50 Sonnenmassen ungewöhnlich schwer sind. „Diese Entdeckung zwingt uns dazu, unsere Modelle der Bildung stellarer Schwarzer Löcher neu zu überprüfen“, kommentiert daher auch David Reitze, Direktor des LIGO- Observatoriums. (Nature, 2019; doi: 10.1038/s41586-019-1766-2)
Quelle: Chinese Academy of Sciences