Gewagtes Manöver: Die ESA-Raumsonde Solar Orbiter wird morgen früh sehr nah an der Erde vorbeifliegen, um Schwung zu holen. In nur 460 Kilometer Höhe wird sie um 5:30 Uhr über Nordafrika und die Kanarischen Inseln hinwegrasen. Das Risiko dabei: Die Sonde muss für diese nahe Passage durch zwei Zonen mit zahlreichen Satelliten und viel Weltraumschrott fliegen – die geostationäre Umlaufbahn und den niedrigen Erdorbit, in dem auch die Raumstation ISS kreist.
Zurzeit wird unsere sonne von gleich zwei Raumsonden aus der Nähe erforscht, um einige ihrer noch immer bestehenden Geheimnisse zu lüften. Dabei taucht die NASA-Sonde Parker Solar Probe bis in die solare Korona ein, bleibt aber auf der äquatorialen Ebene unseres Sterns. Die ESA-Sonde Solar Orbiter dagegen kommt unserem Stern zwar weniger nahe, ihre elliptischen Orbits ermöglichen dafür den Blick auch auf die solaren Pole. Im Juli 2020 hat sie schon bei ihrer Annäherung an die Sonne bahnbrechende Aufnahmen der „solaren Lagerfeuer“ geliefert.
Flug über Nordafrika
Doch jetzt kehrt der Solar Orbiter für eine Stippvisite zur Erde zurück: Mithilfe eines nahen Vorbeiflugs an unserem Heimatplaneten holt sich die Raumsonde Schwung für ihren nächsten Orbit um die Sonne. Damit diese Passage genügend Energie liefert, muss sie die Erdoberfläche für Raumfahrtverhältnisse in extrem geringem Abstand überfliegen: Sie wird morgen früh gegen 05:30 Uhr in nur 460 Kilometer Höhe über Nordafrika und die Kanarischen Inseln hinwegrasen.
Die Raumsonde fliegt bei ihrer nahen Annäherung so tief, dass sie für Beobachter in dieser Region mit Ferngläsern zu sehen sein könnte. Der winzige, schwache Lichtpunkt der Sonde wird sich von der Erdoberfläche aus gesehen um 0,3 Grad pro Sekunde bewegen – das entspricht etwa einer halben Vollmondbreite pro Sekunde.
Gefahrenzonen im Orbit
Für die Raumsonde ist diese Passage extrem riskant, denn sie durchfliegt zwei der am dichtesten bevölkerten Zonen im erdnahen Raum. Der erste heikle Punkt ist das zweimalige Kreuzen der geostationären Umlaufbahn in 36.000 Kilometer Höhe, die neben Satelliten auch viel Weltraumschrott enthält. Dann folgt der Flug durch den niedrigen Erdorbit in 800 bis 400 Kilometer Höhe. Hier ist die Dichte an Weltraumschrott am höchsten -und damit auch die Kollisionsgefahr.
Die Europäische Raumfahrtagentur ESA überwacht schon jetzt die Bahnen der meisten der größeren Schrotteilchen. Sollte mit einem von ihnen eine Kollision drohen, muss der Solar Orbiter ein entsprechendes Ausweichmanöver fliegen. Allerdings sind vor allem die kleineren Trümmerteile längst nicht vollständig erfasst, insofern besteht ein Restrisiko. „Die Gefahr eines Zusammenstoßes ist gering, dennoch wird die Situation sehr genau beobachtet, um die Flugbahn der Sonde im Notfall ändern zu können“, erklärt Michael Steindorfer vom Institut für Weltraumforschung in Graz.
Neuer Blick aufs Erdmagnetfeld
Der nahe Vorbeiflug ist nicht nur zur Bahnanpassung des Solar Orbiter wichtig – er könnte auch wissenschaftlich neue Erkenntnisse bringen. Denn die Raumsonde wird während ihrer Passage Messdaten zum Erdmagnetfeld, den darin vorkommenden energiereichen Teilchen und zum Sonnenwind sammeln. Dabei beprobt sie Höhenbereiche, die weder von den in 60.000 Kilometer Höhe fliegenden Cluster-Satelliten noch den niedriger kreisenden Swarm-Satelliten abgedeckt werden.
„Dieser Vorbeiflug ist spannend: Wir können unseren Bereich des Weltraums mit den Augen des Solar Orbiter sehen und die Ergebnisse dann mit dem vergleichen, was wir bisher schon wissen“, sagt Anja Strømme, Managerin der Swarm-Mission bei der ESA. Dabei könne es durchaus Überraschungen geben.
Kurs auf die Sonne
Nach seinem Schwungholen an der Erde wird der Solar Orbiter wieder Kurs auf die Sonne nehmen. Im März 2022 absolviert die Raumsonde dann ihr nächstes Perihel – sie passiert den sonnennächsten Punkt ihres momentanen Orbits. Dabei wird sie sich unserem Stern bis auf 50 Millionen Kilometer annähern – sie kommt ihm damit rund 27 Millionen Kilometer näher als beim letzten Mal. Gleichzeitig wurde ihre Bahnneigung durch das Flyby-Manöver leicht erhöht.
Der solar Orbiter wird dadurch neue, noch schärfere Ansichten der Sonne liefern können: „Im Vergleich zu den hochauflösenden Aufnahmen, die wir schon jetzt bekommen haben, wird dies einem Heranzoomen um den Faktor zwei entsprechen“, erklärt Daniel Müller, Projektwissenschaftler der Mission. Zudem erhoffen sich die Forscher auch neue Erkenntnisse zum Sonnenwind und den Mechanismen, die ihn prägen.
Quelle: European Space Agency (ESA), Institut für Weltraumforschung