Astronomie

Sonne verblüfft durch Gammastrahlen-Überschuss

Sonne setzt mehr energiereiche Strahlung frei als die theoretischen Modelle erklären können

Sonne
Die Sonne erzeugt nicht nur sichtbares und Infrarotlicht, wie hier abgebildet. Sie produziert auch unerwartet viel energiereiche Gammastrahlung.© dzika mrowka/ Getty images

Rätselhafter Überschuss: Astrophysiker haben erstmals den energiereichsten Strahlenanteil der Sonne eingefangen – und Überraschendes entdeckt. Demnach setzt unser Stern deutlich mehr Gammastrahlung im Teraelektronenvolt-Bereich frei als es gängige Modelle vorsehen. Dieser Gammastahlen-Überschuss ist zudem während des solaren Minimus stärker als bei hoher Sonnenaktivität. Warum das so ist und weshalb die Sonne mehr Gammastrahlung erzeugt als theoretisch vorhergesagt, ist noch unklar.

Die Sonne ist der erdnächste und daher am besten untersuchte Stern. Trotzdem sind viele ihrer Eigenheiten und Prozesse noch nicht vollständig aufgeklärt. Dazu gehören die Triebkräfte des Sonnenwinds und der extremen Hitze in der solaren Korona ebenso wie ihr Magnetfeld und seine Interaktionen. Selbst die lange bestehenden Annahmen zur elementaren Zusammensetzung der Sonne haben Astrophysiker erst kürzlich korrigiert.

Überraschende Daten vom Fermi-Teleskop

Eine weitere offene Frage betrifft den energiereichsten Anteil der Sonnenstrahlung, die Gammastrahlung. Gängigen Modellen zufolge entsteht diese kurzwellige Strahlung nicht durch die Fusionsprozesse im Sonneninneren, sondern durch die Interaktion der Sonne mit einfallender kosmischer Strahlung. Wenn diese energiereichen kosmischen Teilchen auf die Protonen der solaren Atmosphäre treffen, kommt es zu Kollisionen, bei denen energiereiche Gammastrahlung frei wird. Messungen des Fermi-Gammastrahlenteleskops der NASA wiesen ab 2011 tatsächlich eine solche solare Gammastrahlung nach.

Das Merkwürdige jedoch: „Verglichen mit theoretischen Erwartungen war der beobachtete Einstrom von Gammastrahlen aus der Sonnenscheibe viel stärker und das Spektrum deutlich härter“, erklären Andrea Albert vom Los Alamos National Laboratory (LANL) und ihre Kollegen. Im Bereich von 0,1 bis 200 Gigaelektronenvolt trafen siebenmal mehr Gammastrahlen-Photonen ein als es die Modelle vorhersagten. Zudem gab es keine Anzeichen dafür, dass dieser Einstrom jenseits der Detektorobergrenze bei 200 Gigaelektronenvolt nachließ oder abriss.

Zu dieser Zeit gab es jedoch keine Detektoren, die die solare Gammastrahlung in einem noch höheren Energiebereich einfangen konnten.

HAWC-Tanks
Die Tanks des High-Altitude Water Cherenkov Observatory (HAWC) stehen in 4.100 Meter Höhe zwischen zwei Berggipfeln in Mexiko. © Jordan A. Goodman/ CC-by-sa 4.0

Fahndung im höchsten Energiebereich

Das hat sich nun geändert. „Wir verfügen jetzt über Beobachtungsmethoden, die vor ein paar Jahren noch nicht möglich waren“, erklärt Koautorin Mehr Un Nisa von der Michigan State University. Eine davon ist das High-Altitude Water Cherenkov Observatory (HAWC) in Mexiko. Dieses auf 4.100 Meter Höhe liegende Observatorium ist speziell darauf ausgelegt, auf die Erdatmosphäre treffende Gammastrahlen und kosmische Teilchen im Teraelektronenvolt-Energiebereich zu detektieren.

„HAWC ist dadurch einer der wenigen Detektoren weltweit, die die Sonne in diesem Energiebereich beobachten können“, erklären die Forschenden. Möglich wird dies durch ein Netzwerk von 300 Tanks, die mit jeweils 200 Tonnen Wasser gefüllt sind. Wenn nun energiereiche Gammastrahlung auf die Erdatmosphäre trifft, löst sie eine charakteristische Kaskade von Teilchenzerfällen aus. Die dabei erzeugten Teilchen sind über Kollisionen mit den Wassermolekülen in den Tanks und das dabei freigesetzte Licht – die sogenannte Tscherenkow-Strahlung – nachweisbar.

Für ihre Studie haben Albert und ihr Team HAWC-Daten von 2014 bis 2021 ausgewertet und darin die Ereignisse herausgefiltert, die von Gammastrahlen der Sonne stammen. Erkennbar sind diese an der Form und Zusammensetzung der sekundären Teilchenkaskaden, wie sie erklären.

Gammastrahlen-Überschuss
Mit HAWC detektierter Gammastrahlen-Überschuss von der Sonne. © HAWC Collaboration

Heller als die Theorie erlaubt

Es zeigte sich Überraschendes: Die Sonne setzt auch im energiereichen Teraelektronenvolt-Bereich mehr Gammastrahlung frei als es die Modelle vorhersagen. „Als wir diese Ergebnisse sahen, dachten wir erst: Da müssen wir etwas falsch gemacht haben, die Sonne kann bei diesen Energien nicht so hell sein“, erinnert sich Nisa. Doch weitere Analysen bestätigten diesen Gammastrahlen-Überschuss mit einer Signifikanz von insgesamt 6,3 Sigma.

Die Astrophysiker haben damit das hellste, energiereichste Licht beobachtet, das jemals von der Sonne eingefangen wurde. „Unsere Beobachtungen zeigen, dass die Sonne auch bei sehr hohen Energien eine anomal helle Gammastrahlenquelle bleibt“, berichten sie. Den Messungen zufolge erstreckt sich dieser Gammastrahlenüberschuss bis hinauf zu fast zehn Teraelektronenvolt. Dabei scheint es bei rund 400 Gigaelektronenvolt einen Einschnitt zu geben und bei 2,6 Teraelektronenvolt ein Maximum, wie das Team ermittelte.

„Das sind wichtige Hinweise für die theoretischen Modelle“, sagen die Forschenden. Denn bisher können die Theorien diesen Überschuss nicht reproduzieren.

Antizyklisch zum Sonnenzyklus

Interessant auch: Die Menge der solaren Gammastrahlung schwankt mit dem Sonnenzyklus – aber entgegengesetzt zu dem, was man annehmen würde. Den größten Überschuss detektierten die Astrophysiker während des solaren Minimums und damit in einer Zeit, in der die Sonne weniger Sonnenflecken und Sonnenstürme erzeugt. „Während des solaren Maximums finden wir dagegen nur ein schwaches Signal“, so Albert und ihr Team.

Dies legt nahe, dass sich die Interaktion der harten kosmischen Strahlung mit der Sonne und ihren Teilchen und Magnetfeldern im Laufe des elfjährigen Sonnenzyklus verändert. Doch warum das so ist und welche Rolle die Magnetfelder für diese Prozesse spielen, ist bisher unklar. „Die Tatsache, dass der Ausstrom sich unabhängig von der Energie anti-zyklisch zur solaren Aktivität verhält, ist ein weiterer wichtiger Hinweis für die theoretische Modellierung“, erklären die Astrophysiker.

Jetzt beginnt die Suche nach einer Erklärung

Momentan werfen diese Ergebnisse damit mehr Fragen auf als sie beantworten. Wie und warum die Sonne eine so energiereiche, starke Gammastrahlung erzeugt, muss nun weiter erforscht werden. „Unsere Beobachtung unterstreicht die Notwendigkeit eines revidierten Modells, das den anomalen Überschuss von solaren Gammastrahlen im Teraelektronenvolt-Bereich erklären kann“, konstatieren Albert und ihre Kollegen. (Physical Review Letters, 2023; doi: 10.1103/PhysRevLett.131.051201)

Quelle: Michigan State University

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