Gefahr unterschätzt? Extreme Strahlenausbrüche kommen bei Sternen wie unserer Sonne offenbar häufiger vor als gedacht, wie Astronomen entdeckt haben. Demnach ereignet sich ein solcher Superflare im Schnitt alle hundert Jahre einmal – und setzt dann mehr Energie frei als Billionen Wasserstoffbomben. In den letzten rund 12.000 Jahren wurden auf der Erde erst acht solcher Extrem-Sonnenausbrüche identifiziert. Der nächste Superflare könnte jedoch für unsere technisierte Welt verheerende Folgen haben, wie das Team in „Science“ berichtet.
Auch wenn die Sonne zurzeit das Maximum ihres elfjährigen Aktivitätszyklus durchläuft: Die meisten solaren Ausbrüche und Sonnenstürme verlaufen für uns glimpflich, meist merken wir sie nur an spektakulären Polarlichtern. Doch es geht auch anders: In den letzten 200 Jahren wurde die Erde schon dreimal von besonders starken Sonnenstürmen getroffen – 1859 beim berühmten „Carrington Ereignis„, sowie 1872 und 1921. Im Jahr 1967 löste ein weit schwächerer Sonnensturm sogar fast einen Atomkrieg aus.
Wie oft kommen Extrem-Ausbrüche vor?
Aber wie stark kann ein Sonnensturm werden? „Bisher ist unbekannt, ob die Sonne auch Superflares mit noch höheren Energien entfesseln kann und wie oft das passieren könnte“, erklären Valeriy Vasilyev vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen und seine Kollegen. Allerdings gibt es indirekte Hinweise auf solche solaren Superflares: Isotopendaten aus Baumringen legen nahe, dass die Erde in den letzten 12.000 Jahren schon fünfmal, vielleicht sogar achtmal von Extrem-Sonnenstürmen getroffen wurde.
Das allein reicht aber nicht aus, um die Häufigkeit und damit das Risiko für solche Superflares zu bestimmen. Deshalb haben nun Vasilyev und sein Team einen anderen Ansatz genutzt: Sie untersuchten, wie oft Superflares bei sonnenähnlichen Sternen ähnlichen Alters und Größe wie die Sonne vorkommen. Dafür werteten sie Daten des NASA-Weltraumteleskops Kepler aus der Zeit von 2009 bis 2013 zu 56.450 solcher Sterne aus.
Pro Jahrhundert ein Superflare
Das überraschende Ergebnis: Die Astronomen identifizierten insgesamt 2.889 Superflares bei 2.527 Sternen. „Das spricht dafür, dass solche Ereignisse bei sonnenähnlichen Sternen im Schnitt einmal pro Jahrhundert vorkommen“, so das Team. Bisher ging man eher von einem Extrem-Ausbruch alle tausend oder zehntausende Jahre aus. „Dass sonnenähnliche Sterne so häufig zu gigantischen Strahlungsausbrüchen neigen, hat uns sehr überrascht“, sagt Vasilyev. Das eruptive Potential solcher Sterne wurde demnach deutlich unterschätzt.
Dies ändert auch den Blick auf unseren eigenen Stern. Denn die Sonne könnte solche Extrem-Ausbrüche ebenfalls weit häufiger erzeugen als bisher gedacht. Für die Erde bedeutet dies, dass die Gefahr durch Superflares drastisch steigt. Denn ein solcher Mega-Strahlenausbruch kann Energien von 1033 bis 1036 erg freisetzen – das ist zwischen zehn- und zehntausendmal stärker als das Carrington-Ereignis, wie die Astronomen erklären.
Was wären die Folgen?
Doch was wären die Auswirkungen eines solaren Superflares? Schon beim Carrington-Ereignis von 1859 brach in weiten Teilen Nordeuropas und Nordamerikas das Telegrafennetzwerk zusammen. Weitere Folgen blieben aus, weil es damals noch keine ausgedehnten Stromnetze oder komplexere Elektronik gab. Heute ist das jedoch anders: Computersysteme, Stromleitungen und Satelliten bilden das technologische Rückgrat der modernen Zivilisation. Gerade sie könnten durch einen Extrem-Sonnensturm aber schwer geschädigt oder sogar zerstört werden.
„Die neuen Zahlen erinnern eindringlich daran, dass auch extremste Sonnenstürme zum natürlichen Repertoire der Sonne gehören“, sagt Vasilyevs Kollegin Natalie Krivova. Sollte unser Stern in naher Zukunft einen solchen Superflare freisetzen, ließe sich dies nicht verhindern. Bei einer rechtzeitigen Warnung durch Sonnenobservatorien könnten aber gefährdete Infrastrukturen wie Satelliten abgeschaltet und umgelenkt werden. Auch besonders sensible technische Anlagen könnte man solange stilllegen oder besonders abschirmen. (Science, 2024; doi: 10.1126/science.adl5441)
Quelle: Science, Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung