Mal vorhanden, mal nicht: In den Kohlenwasserstoff-Seen des Saturnmonds Titan gibt es Inseln, die auftauchen und wenig später wieder verschwinden. Was hinter diesem rätselhaften Phänomen steckt, könnten Planetenforscher nun aufgeklärt haben. Demnach entstehen diese Inseln durch herabrieselndes Kohlenwasserstoff-Eis, dass sich auf der Seeoberfläche ablagert. Lange genug Schwimmen können diese Eisschollen aber nur, wenn ihr „Schnee“ porös und klumpig genug ist, wie das Team ermittelte.
Der Saturnmond Titan ist eine exotische und doch in manchem erstaunlich erdähnliche Welt. Denn auch auf ihm gibt es Berge, Karstlandschaften, Flüsse, Seen und sogar Vulkane. Doch statt Wasser füllen flüssiges Methan und Ethan die Seen und Flüsse des kalten Saturnmonds. Seine Gashülle besteht aus bis zu 17 verschiedenen Kohlenwasserstoffen, die einen orangefarbenen Schleier bilden und als Kohlenwasserstoff-„Schnee“ auf die Oberfläche herabrieseln.
Inseln erscheinen und verschwinden wieder
Doch ein Phänomen gibt Planetenforschern schon seit Jahren Rätsel auf: die „magischen Inseln“. Diese oft ausgedehnten Gebilde tauchen auf den großen Seen des Titan auf, um dann wenige Tage bis Wochen später wieder zu verschwinden, wie Radar-Aufnahmen der NASA-Raumsonde Cassini zeigten. In diesen erscheinen diese „Inseln“ als helle, stark streuende Bereiche auf der ansonsten auffällig glatten Oberfläche der Titanseen. Woraus sie bestehen und warum sie nur vorübergehend existieren, ist unklar.
Angesichts der frostigen Temperaturen auf dem Saturnmond wäre es naheliegend, diese temporären Inseln als Eisschollen zu interpretieren. Das Problem jedoch: Anders als beim Wasser haben die gefrorenen Kohlenwasserstoffe des Titan keine geringere Dichte als ihr flüssiger Gegenpart. Zudem besteht das Methan-Ethan- Gemisch der Titanseen aus unpolaren Molekülen und hat daher nur eine geringe Oberflächenspannung. Eiskristalle aus Kohlenwasserstoffen würden daher fast sofort in diese flüssigen Kohlenwasserstoffe einsinken.
Das bedeutet: Simple Eisschollen aus gefrorenen Kohlenwasserstoffen können die temporären Inseln der Titanseen nicht erklären. Auch vom Seegrund aufsteigende Gasblasen – eine weitere Hypothese der Planetenforscher – erklären nur einige der beobachteten Merkmale.
Herabrieselndes Kohlenwasserstoff-Eis als Urheber?
Auf der Suche nach einer stimmigeren Erklärung für die „magischen Inseln“ haben nun Xinting Yu von der University of Texas in San Antonio und ihre Kollegen sich die Wechselwirkungen an der Oberfläche der Titanseen noch einmal genauer angeschaut. Mithilfe von physikalischen Modellen untersuchten sie, welche Dichte zwölf in der Titanatmosphäre vorkommende Kohlenwasserstoffe beim Gefrieren besitzen und wie sie beim Auftreffen auf das Methan-Ethan-Gemisch reagieren.
„Damit wir die magischen Inseln sehen, können sie nicht einfach nur ein paar Sekunden schwimmen und dann im See versinken“, sagt Yu. „Sie müssen längere Zeit an der Oberfläche bleiben – aber eben auch nicht für immer.“ Unter welchen Bedingungen dies möglich wäre, ermittelte das Team auf Basis bekannter Phasenwechsel- und Dampfdruck-Daten der zwölf untersuchten Kohlenwasserstoffe, darunter Alkanen und Alkenen, aber auch Benzol, Ethylen oder verschiedenen organischen Cyanidverbindungen.
Die Porosität ist der Schlüssel
Es zeigte sich: Alle zwölf Kohlenwasserstoffe aus der Titanatmosphäre haben im gefrorenen Zustand höhere Dichten als die Flüssigkeit der Titanseen. Kompakte Eiskristalle müssten daher fast sofort untergehen und sich am Seegrund ablagern. Verhindern ließe sich das nur, wenn das Kohlenwasserstoff-Eis porös wäre: „Dann würde seine Dichte unter die der flüssigen Umgebung sinken“, erklären Yu und ihr Team.
Doch wie porös müsste das Kohlenwasserstoff-Eis sein, um zu schwimmen? Nach Berechnungen den Teams wäre dafür bei kurzkettigen, einfachen Kohlenwasserstoffen ein Porenanteil von 25 bis 35 Prozent nötig. Bei längerkettigen oder ringförmigen Kohlenwasserstoffen, darunter auch den Cyaniden, müssen die Hohlräume schon bis zu 50 Prozent ausmachen. Zum Vergleich: In Laborversuchen zur Frostabscheidung erreichen solche organischen Verbindungen Porositäten von bis zu 35 Prozent.
Wenn die Eispartikel des Titan jedoch freischwebend und eher wie irdischer Schnee gefrieren, könnten sie noch poröser werden: „Irdischer Schnee hat typischerweise eine Porosität von 40 bis 50 Prozent, in manchen Fällen sogar von bis zu 90 Prozent“, berichten Yu und ihre Kollegen. Ein so hoher Anteil an gasgefüllten Hohlräumen würde auch den Kohlenwasserstoffschnee auf den Titanseen schwimmen lassen.
Schwimmende Klumpen aus Kohlenwasserstoff-Schnee
Allerdings: Damit die temporären Inseln mehrere Stunden bis Tage an der Seeoberfläche bleiben, ist eine weitere Voraussetzung nötig: „Wenn dieser schwimmende Schnee tatsächlich der Urheber des Magische-Insel-Phänomens ist, dann muss er aus groben Partikeln von mindestens fünf Millimetern Größe oder mehr bestehen“, berichten die Forschenden. Denn sind die gefrorenen Kohlenwasserstoffklumpen kleiner, dringt das flüssige Methan-Ethan-Gemisch des Titansees zu schnell in die Hohlräume ein und füllt sie – und das Ganze sinkt innerhalb von Minuten ab.
Nach Ansicht der Wissenschaftler spricht damit einiges dafür, dass die magischen Inseln des Titan aus größeren Klumpen von lockerem Kohlenwasserstoff-Schnee bestehen. Dieser schwimmt dank seiner gasgefüllten Poren lange genug auf der Seeoberfläche, um die Radarsignatur der temporären Inseln zu erklären. Weil immer wieder neuer „Schnee“ nachfällt und Klumpen bildet, tauchen im Laufe der Zeit immer neue Inseln auf.
Eis-Ablagerungen als Wellendämpfer?
Aber auch eine zweite, unerklärte Eigenheit der Titanseen könnten die neuen Erkenntnisse erklären. Die Radaraufnahmen der Cassini-Raumsonde zeigen keinerlei Wellen oder ähnliche Unregelmäßigkeiten auf der Oberfläche der großen Titanseen. Die Rauigkeit der Seeoberfläche liegt nur im Millimetermaßstab. Verantwortlich dafür könnten kleinere Kristalle der herabrieselnden Kohlenwasserstoffe sein, wie Yu und ihr Team vermuten: „Die ständige Ablagerungen dieser Aerosole könnte zur ungewöhnlichen Glattheit der Titanseen beitragen“, erklären sie.
Ob ihre Annahmen stimmen, lässt sich allerdings bisher nicht eindeutig klären. Eine Antwort könnte aber die geplante Dragonfly-Mission der NASA liefern. Diese Raumsonde soll im Jahr 2028 starten und dann ab 2034 mithilfe einer Drohne die Oberfläche des Saturnmonds erkunden. (Geophysical Research Letters, 2024; doi: 10.1029/2023GL106156)
Quelle: American Geophysical Union