Astronomen haben in einer Galaxiengruppen eine gigantische Schockwelle aufgespürt, die größer ist als die Milchstraße. Mit dem NASA-Infrarotteleskop Spitzer untersuchte das internationale Team die Galaxiengruppe "Stephans Quintett" und identifizierte sie als Schauplatz einer gewaltigen kosmischen Kollision. Die Entdeckung der Schockwelle liefert den Forschern neue Einblicke in die Anfänge des Universums, als Verschmelzungen und Zusammenstöße von Galaxien an der Tagesordnung waren.
Seit Jahrzehnten beobachten Wissenschaftler die 300 Millionen Lichtjahre entfernte Galaxiengruppe namens "Stephans Quintett" mit optischen Teleskopen. Die ungewöhnliche Gestalt der Galaxien ließ sie vermuten, dass die Sternsysteme dort früher oft zusammengestoßen sind – und noch heute miteinander kollidieren. Vor kurzem haben Astronomen im Radio- und Röntgenbereich riesige Gasmengen zwischen den Galaxien entdeckt; diese Wolken bestehen hauptsächlich aus Wasserstoff und Helium, besitzen hundert Milliarden Sonnenmassen und enthalten mehr Gas als die Galaxien selbst.
Jetzt hat das Team aus deutschen, amerikanischen, australischen und chinesischen Forschern – zu ihm gehören Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kernphysik und des California Institute of Technology in Pasadena (USA) – das Weltraumteleskop Spitzer auf die Galaxiengruppe gerichtet und mit dem sehr empfindlichen Infrarot-Spektrometer des Instruments die Galaxie NGC 7318b unter die Lupe genommen. NGC 7318b bewegt sich sehr schnell auf die anderen Galaxien zu und erzeugt auf ihrem Weg durch das intergalaktische Gas eine gigantische Schockwelle – größer als unsere Milchstraße mit ihren 100.000 Lichtjahren Durchmesser.
Strahlung verrät Schockwelle
Die Schockwelle verriet sich durch eine starke Infrarotstrahlung. Sie stammt von Wasserstoffmolekülen, die bei der Kollision von Materie zum Leuchten angeregt werden. "Die Stärke der Strahlung und die Tatsache, dass das Gas derart durcheinander gewirbelt wird, war für uns eine große Überraschung", sagt Gruppenleiter Philip Appleton vom California Institute of Technology in Pasadena. "Wir erwarteten die spektrale Zusammensetzung von Staubkörnchen. Stattdessen sahen wir nichts außer einem Spektrum von Wasserstoffmolekülen, wie es im Labor zu sehen ist. So etwas haben wir in einem Galaxiensystem noch nie zuvor beobachtet."
Mit dem Spektrometer identifizierten die Wissenschaftler in Stephans Quintett eine ungewöhnlich "verschmierte" Linie – die breiteste, die für heißen Wasserstoff jemals gefunden wurde. Aus ihr ließ sich eine Geschwindigkeit von 870 Kilometern pro Sekunde hin – das Gas bewegt sich also hundertmal schneller als der Schall in Luft (330 Meter pro Sekunde). "Anscheinend entstehen Wasserstoffmoleküle entweder in der Schockwelle oder hinter ihr, ähnlich Wassertropfen, die sich hinter einem Flugzeug bilden, das die Schallmauer durchbricht. Nur passiert das hier in kosmischen Dimensionen und bei einer Geschwindigkeit von Mach 100 oder mehr", sagt Richard Tuffs von der Astrophysik-Abteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg.
Modell des frühen Universums
Die Beobachtungen geben Einblick in die Vergangenheit des Alls. Damals kollidierten und verschmolzen die Galaxien noch viel häufiger als in der Gegenwart. "So bietet uns eine benachbarte Galaxiengruppe, die von einer dichten Gaswolke verhüllt ist, ein Modell des Universums, wie es vor zehn Milliarden Jahren ausgesehen hat", sagt Cristina Popescu, die andere Autorin aus dem Heidelberger Max-Planck-Institut. Zu dieser Zeit waren bereits die ersten Galaxien entstanden, ihre Dichte und die des Weltraums waren allerdings viel höher als heute. "In dieser Hinsicht gleichen unsere Beobachtungen einer Reise mit der Zeitmaschine", so Popescu.
Die neuen, von der Fachzeitischrift Astrophysical Journal zur Publikation angenommenen Ergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass die helle Infrarotstrahlung weit entfernter Galaxien nicht nur von den Sternen ausgeht, sondern auch von gewaltigen Schockwellen im Gas kollidierender Galaxien erzeugt wird. Übrigens wird unsere Milchstraße in zwei Milliarden Jahren voraussichtlich mit dem Andromeda-Nebel zusammenstoßen und dabei selbst eine kosmische Schockwelle erzeugen.
Das Spitzer Weltraumteleskop wird vom NASA Jet Propulsion Laboratory (JPL) gemanagt. Die wissenschaftliche Datenauswertung erfolgt am Spitzer Science Center des California Institute of Technology (CalTech) in Pasadena, USA.
(MPG, 06.03.2006 – NPO)