Astronomie

PAKs im Weltraum

Interstellare Gaswolke entpuppt sich als reiches Reservoir ringförmiger Kohlenwasserstoffe

TMC-1
In der Taurus-Molekülwolke (TMC-1) haben Astronomen unerwartet viele komplexe und aromatische Kohlenwasserstoffe entdeckt, darunter von links nach rechts: 1-Cyanonaphthalen, 1-Cyano-Cyclopentadien, HC11N, 2-Cyanonaphthalen, Vinylcyanoacetylene, 2-Cyano-Cyclopentadien, Benzonitril, Trans-(E)-Cyanovinylacetylen, HC4NC und Propargylcyanid. Dunkelwolke © M. Weiss / Center for Astrophysics | Harvard & Smithsonian

Überraschender Fund: Astronomen haben ein ganzes Reservoir von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) im Weltall entdeckt – und das an einem völlig unerwarteten Ort. Denn statt im Staub von Sternexplosionen verbergen sich diese komplexen Moleküle in einer kalten interstellaren Gaswolke. Das wirft ein ganz neues Licht auf die chemische Synthese solcher Moleküle im Kosmos, wie die Forscher in gleich neun Veröffentlichungen darlegen.

Ob Essigsäure, Formaldehyd, das chirale Propylenoxid, die fußballförmigen Fullerene oder den Aminosäure-Vorläufer Aminoacetonitril: Astronomen haben schon eine ganze Reihe von organischen Molekülen im Weltraum nachgewiesen. Die meisten von ihnen finden sich im Umfeld junger Sterne, in Planetarischen Nebeln oder den leuchtenden Überresten von Supernovae.

Wo stecken die Ringmoleküle?

Das Merkwürdige jedoch: Unter diesen organischen Molekülen sind ringförmige, durch Doppelbindungen verknüpfte Kohlenwasserstoffe auffallend selten, obwohl solche aromatischen Verbindungen eigentlich besonders stabil sind. Einzig Benzol und Benzonitril wurden schon im Umfeld sterbender Sterne entdeckt. Das führte zu der Annahme, dass größere Ringmoleküle und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) im All nur unter bestimmten Bedingungen entstehen.

„PAKs könnten bis zu 25 Prozent allen Kohlenstoffs im Universum enthalten“, erklärt Studienleiter Brett McGuire vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). „Aber wir haben immer gedacht, dass sie primär in der Hülle sterbender Sterne gebildet werden.“ Dort, so die Theorie, werden die organischen Ringmoleküle in einer „Top-Down“-Reaktion aus Ruß und anderen stellaren Produkten gebildet und ins All hinausgeschleudert.

Fahndung in der Dunkelwolke

Doch die neue Entdeckung zeichnet nun ein ganz anderes Bild. McGuire und sein Team haben nicht nur einen ganzen Schwung zuvor nie im All nachgewiesener PAKs entdeckt – diese ringförmigen Kohlenwasserstoffe finden sich auch fernab jeder Supernova oder anderer stellarer Quellen. Aufgespürt haben die Astronomen die Moleküle, als sie die Taurus-Molekülwolke (TMC-1) über zwei Jahre hinweg immer wieder mit dem 100-Meter-Green-Bank-Radioteleskop in West-Virginia ins Visier nahmen.

Die Taurus-Molekülwolke ist eine interstellare Wolke aus kalten Gasen, die rund 450 Lichtjahre von der Erde entfernt liegt. Sie ist eine Region, in der aus dem Kollaps dichter Gase eines Tages neue Sterne entstehen werden. „TMC-1 gilt als prototypische molekulare Dunkelwolke, die die frühe Chemie vor dem Wolkenkollaps zeigt“, erklären die Forscher. Bisher sind dort schon 34 verschiedene Moleküle entdeckt worden – bis auf Benzonitril aber keine PAKs.

„Ein gigantisches Lager von Molekülen“

Das hat sich nun geändert: McGuire und sein Team haben nun erstmals zahlreiche ringförmige Kohlenwasserstoffe in TMC-1 nachgewiesen. Darunter sind zahlreiche aromatische Cyanwasserstoffe wie 1-Cyanonaphthalen, Vinylcyanoacetylen oder Propargylcyanid, aber auch andere Ringmoleküle. „Unsere Beobachtungen zeigen nicht nur, dass diese Moleküle in molekularen Wolken präsent sind, sondern auch, dass ihre Menge weit größer ist als in Modellen vorhergesagt“, sagt McGuires Kollege Michael McCarthy.

„Das ist ein wenig so, als wenn man in einem Laden stöbert und nicht weiß, dass es noch einen zweiten Raum gibt“, sagt McGuire. „Nach 50 Jahren der Molekülsuche haben wir nun diese Hintertür entdeckt und ein gigantisches Lager von Molekülen und Chemie gefunden, das wir dort nicht erwartet hätten.“

Neue Sicht auf kosmische Chemie

Wie die Astronomen erklären, verändert dieses neuentdeckte Reservoir organischer Moleküle die gesamte Sicht auf die chemischen Vorgänge im Weltraum. Denn es belegt, dass komplexe organische Moleküle nicht nur als Nebenprodukt alternder Sterne entstehen, sondern auch frei im interstellaren Raum. Dort reagieren sie miteinander und ballen sich zu Aggregaten zusammen. „Wenn diese Moleküle groß genug sind, werden sie dann zu Keimen interstellaren Staubes“, so McGuire. Und aus diesem Staub wiederum entstehen Asteroiden, Kometen und auch Planeten.

„Die Dunkelwolken sind die Geburtsstätten von Sternen und Planeten“, sagt McGuires Kollege Andrew Burkhardt. „Das bedeutet, dass diese zuvor unsichtbaren aromatischen Moleküle immer mitspielen, wenn es zur Bildung von Sternen, Planeten und Sonnensystemen wie unserem eigenen kommt.“ Die Astronomen gehen davon aus, dass die Dunkelwolke TMC-1 nur die Spitze eines ganzen Eisbergs von PAKs im Weltall sein könnte: Wahrscheinlich finden sich diese organischen Ringmoleküle in vielen interstellaren kalten Wolken. (Nature Astronomy, 2021; doi: 10.1038/s41550-020-01253-4; The Astrophysical Journal Letters, 2021; doi: 10.3847/2041-8213/aba632; doi: 10.3847/2041-8213/abdbb9)

Quelle: Center for Astrophysics | Harvard & Smithsonian

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