Relikte der Frühzeit: Astronomen haben zwei Sternenpopulationen in der Milchstraße entdeckt, die aus der frühesten Frühzeit unserer Galaxie stammen. Die beiden zwölf bis 13 Milliarden Jahre alten Gebilde sind Relikte der ersten protogalaktischen Bausteine unserer Milchstraße. Diese frühen Sternansammlungen verschmolzen mit dem Vorläufer unserer Galaxie, noch bevor diese ihre charakteristische Form ausbildete, wie die Forscher im „Astrophysical Journal“ berichten.
Unsere Milchstraße hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Ihre ersten Anfänge bildeten sich schon vor rund 13 Milliarden Jahren durch die Verschmelzung mehrerer kleinerer Vorläufer. Noch heute sind Sterne aus dieser ersten Population im metallarmen, alten Herz unserer Galaxie erhalten. Im Laufe der galaktischen Entwicklung folgten dann noch mindestens zehn kleinere und fünf große Verschmelzungen mit benachbarten Sternansammlungen. Zeugnis von diesen galaktischen Vereinnahmungen geben Sternenströme, deren Bewegung und Zusammensetzung von denen der „heimischen“ Sternpopulation abweichen.
Zwei Ansammlungen stellarer Abweichler
Gleich zwei besonders alte Bausteine der Milchstraße haben nun Kyati Malhan und Hans-Walter Rix vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg aufgespürt. Für ihre Studie hatten sie Daten des europäischen Gaia-Weltraumteleskops und des Sloan Digital Sky Survey (SDSS) zur Geschwindigkeit, Richtung und Elementzusammensetzung von Sternen im inneren Milchstraßenbereich analysiert.
Dabei entdeckten sie zwei stellare Gebilde, die sich in ihren Merkmalen deutlich von denen der restlichen Milchstraßensterne unterscheiden. Sie bilden zwei jeweils zehn Milliarden Sonnenmassen umfassende Ansammlungen metallarmer und somit früh entstandener Sterne. „Das Eisen-zu-Wasserstoff-Verhältnis beider liegt deutlich unter der des ältesten, metallärmsten Teils der galaktischen Scheibe“, berichten die Astronomen.
Hinzu kommt: Die beiden „Shakti“ und Shiva“ getauften Gebilde bewegen sich beide mit ähnlicher Geschwindigkeit und ähnlich großem Drehimpuls um das Milchstraßenzentrum – unterscheiden sich darin aber deutlich von den „normalen“ Sternen der Milchstraße.
Einzigartige, unkonventionelle Merkmale
Aber warum? „Die Sternpopulationen von Shakti und Shiva besitzen unkonventionelle, spannende Eigenschaften, die zuvor noch in keiner anderen Substruktur der Milchstraße beobachtet wurden“, schreiben Malhan und Rix. „Es ist daher eine ziemliche Herausforderung, die wahre Natur und die Herkunft dieser stellaren Gebilde zu enträtseln.“ Offen war dabei vor allem die Frage, ob die beiden Sternenpopulationen aus der Milchstraße stammen oder von ihr nachträglich vereinnahmt wurden. Es sei schon erstaunlich genug, dass man diese Strukturen überhaupt detektieren könne.
„Die Milchstraße hat sich so stark verändert, seitdem diese Sterne geboren wurden. Wir haben daher nicht erwartet, sie so klar als Gruppe zu erkennen – aber die einzigartigen Daten des Gaia-Teleskops haben dies möglich gemacht“, sagt Malhan. Nähere Analysen ergaben: Die Sternenpopulationen von Shakti und Shiva sind zwar etwas jünger als das uralte Herz der Milchstraße, aber älter als der Gaia/Sausage-Sternenstrom, der von einer Kollision vor rund elf Milliarden Jahren zurückgeblieben ist.
Relikte protogalaktischer Bausteine
Doch was bedeutet dies für die Herkunft der beiden Sternenpopulationen: Stammen sie aus der Milchstraße oder wurden sie von ihr nachträglich vereinnahmt? Auf den ersten Blick bieten Shakti und Shiva ein gemischtes Bild. Einerseits deutet der Mangel an schweren Elementen bei diesen Sternen auf einen sehr alten, möglicherweise „fremden“ Ursprung hin. Andererseits sprechen die Spektralsignaturen aber für ein schnelles Wachstum dieser Sterne, wie es eigentlich für stellare „Ureinwohner“ der Milchstraße typisch ist.
Nach Ansicht der Astronomen sprechen die Merkmale von Shakti und Shiva dafür, dass sie Relikte der allerersten Grundbausteine unserer Milchstraße sind. „Sie repräsentieren zwei der frühen, massereichen Protogalaxien, die vor mehr als zwölf Milliarden Jahren mit der Milchstraße verschmolzen“, berichten Malhan und Rix. Diese Verschmelzung fand zu einem Zeitpunkt statt, als der Vorläufer unserer Galaxie noch keine Sternenscheibe ausgebildet hatte.
„Shakti und Shiva waren möglicherweise protogalaktische Fragmente, die sehr schnell und früh Sternen bildeten und heranwuchsen, ähnlich wie die Vorläufer des metallarmen Herzens der Milchstraße“, schreiben die Forscher. Weil diese frühen „Zulieferer“ für die junge Galaxie aber weniger zentral in ihr aufgingen, blieben Reste dieser Vorläufer als unterscheidbare stellare Gebilde erhalten. (The Astrophysical Journal, 2024; doi: 10.3847/1538-4357/ad1885)
Quelle: Max-Planck-Institut für Astronomie