Einem rätselhaften Phänomen der Venus sind Astronomen auf die Spur gekommen: Wird der Sonnenwind sehr schwach, bekommt unser Nachbarplanet plötzlich einen Schweif: Ihre Hülle aus Elektronen und anderen geladenen Teilchen dehnt sich weit nach außen hin aus – und damit auch in unsere Richtung. Dank der Raumsonde Venus Express haben Planetenforscher dieses seltene Ereignis nun erstmals aus der ersten Reihe beobachtet – und wertvolle neue Einblicke gewonnen.
Am 3. und 4. August 2010 hielt die Sonne den Atem an: Nach mehreren heftigen Teilchenausbrüchen kam der Sonnenwind etwa 18 Stunden lang fast zum Erliegen. Die Venus erreichten in dieser Phase nur noch 0,2 Teilchen pro Kubikzentimeter. An gewöhnlichen Tagen sind es etwa 25- bis 50-mal so viele. „Phasen mit solch schwachem Sonnenwind kommen selten, aber immer wieder vor“, erklärt Markus Fränz vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau. „Allerdings war das Ereignis im August 2010 das erste dieser Art seit dem Start der Raumsonde Venus Express vor etwa sieben Jahren.“ Dank der stark elliptischen Umlaufbahn der Sonde um den Planeten bot sich den Forschern die Gelegenheit zu untersuchen, welche Prozesse der schwache Sonnenwind in der Atmosphäre der Venus auslöst.
Wie auch die Erde ist die Venus von einer Ionosphäre – einer Hülle aus Elektronen und Ionen – umgeben. Wissenschaftler bezeichnen dies als Plasma. Es entsteht, wenn extrem kurzwelliges ultraviolettes Licht und Röntgenstrahlung von der Sonne an der Tagseite der Planeten auf die äußersten Schichten der Atmosphäre treffen. Auf der Erde hält das starke Magnetfeld die Teilchen gefangen. Sie rotieren deshalb im Gleichtakt mit der Erde und den Magnetfeldlinien um die Erdachse – und erreichen so auch die Nachtseite. Auf diese Weise entsteht eine Hülle aus geladenen Teilchen, welche die Erde vollständig umschließt.
Ungleichmäßige Teilchenhülle
„Auf der Venus ist das völlig anders“, erklärt Yong Wie, Forscher am Lindauer Max-Planck-Institut und Erstautor der neuen Studie. „Unserem Schwesterplaneten fehlt nicht nur das eigene Magnetfeld. Auch die Drehung um die eigene Achse vollzieht sich hier deutlich langsamer“, ergänzt er. Dennoch lässt sich auch auf der Nachtseite der Venus eine Ionosphäre beobachten. „Messungen älterer Sonde hatten gezeigt, dass Elektronen und Ionen von der Tag- zur Nachtseite strömen“, sagt Fränz. Motor dieser Bewegung ist der hohe Plasmadruck an der Tagseite. Ähnlich wie ein komprimiertes Gas, das aus einer Druckflasche befreit wird, strömt das Plasma in ein Gebiet mit geringerem Druck.
Mit Hilfe von Daten der Raumsonde Venus Express haben sich die Forscher nun ein genaueres Bild dieser Vorgänge gemacht. Sie fanden heraus, dass unter normalen Bedingungen der Sonnenwind diese Umverteilung einschränkt. Er magnetisiert die Ionosphäre und hält den Plasmastrom so in Planetennähe. Fehlt der Sonnenwind jedoch, fehlen diese eingrenzenden Felder – die Ionosphäre kann sich ungehindert in der Übergangsregion zwischen Tag- und Nachtseite ausbreiten. „Die geladenen Teilchen können auf diese Weise einfacher und deshalb in größerer Zahl zur Nachtseite gelangen“, erklärt Markus Fränz. Dort bildet sich dann eine Art Plasmaballon, der sich schweifartig ins All erstreckt. Die gesamte Ionosphäre erhält so eine tropfenförmige Gestalt.
Plasmaschweif bis zur Erde?
Die neuen Messungen belegen, dass der Plasmaschweif etwa 15.000 Kilometer weit in den Weltraum ragt. „Er könnte aber auch deutlich länger sein und sich möglicherweise sogar über Millionen von Kilometern erstrecken“, sagt Wei. Ob dieser Schweif auch bis zu Erde reichen kann, konnten die Daten der Raumsonde aber noch nicht klären. Forscher hatten aber im Jahr 1996 bereits Venusplasma in Erdnähe nachgewiesen. Dafür werteten sie Messdaten der Raumsonde Soho aus, die im Gleichtakt mit der Erde um die Sonne kreist.
Möglicherweise bietet der Mechanismus, den die Wissenschaftler nun beschreiben, eine Erklärung für solche Ereignisse. „Vielleicht bieten Phasen extrem schwachen Sonnenwinds planetaren Teilchen die Möglichkeit, von den sonnennahen Planeten zu weiter außen gelegenen zu wandern“, sagt Wei.
(Max-Planck Institut für Sonnensystemforschung, 30.01.2013 – NPO)