Chaotische Ströme und stehende Wellen: Ein erster Blick auf die Nachtseite der Venus enthüllt Überraschendes. Denn Atmosphäre und Wolken verhalten sich dort völlig anders als erwartet – und auch anders als auf der Sonnenseite. So rotiert die Gashülle unseres Nachbarplaneten auf der dunklen Seite weniger gleichmäßig und es gibt zuvor unbekannte Wolkenformationen. Besonders rätselhaft aber ist eine Dominanz von stehenden Wellen und Wolken auf der Venus-Nachtseite.
Die Venus ist ein Planet der Extreme: Auf ihrer Oberfläche herrscht eine Gluthitze von fast 500 Grad Celsius, aktive Vulkane speien Lava und ein 90-fach höherer Druck als auf der Erde lastet auf allem. Als wäre das nicht genug, rasen Winde und Wolken aus ätzender Schwefelsäure in enormem Tempo um den Planeten. Die gesamte Gashülle der Venus rotiert dadurch 60 Mal schneller als der Planet selbst – Planetenforscher bezeichnen dies als Superrotation.
Über die Atmosphäre der Venus wissen wir dank Raumsonden inzwischen einiges – aber fast nur über ihre Tagseite.
Mysterium der „dunklen“ Seite
Noch rätselhafter aber ist die „dunkle Seite“ der Venus – die Seite des Planeten, die wegen seiner gebundene Rotation fast ständig von der Sonne abgekehrt ist. „Ihre Nachtseite ist bisher kaum erforscht“, erklärt Javier Peralta von der japanischen Raumfahrtagentur JAXA. Einer der Gründe dafür: Die Sensoren und Kameras der Sonden können auf der dunklen Nachtseite kaum etwas sehen.
„Wir können zwar die oberen Wolken der Nachtseite anhand ihrer Wärmeabstrahlung erkennen, aber sie im Detail zu beobachten war schwierig, weil der Kontrast unserer Infrarotbilder zu schwach war“, erklärt Peralta. Jetzt kam ihnen eine neue Methode zu Hilfe: Das VIRTIS-Spektrometer der ESA-Sonde Venus Express nahm dafür die Wolken in mehreren Infrarotwellenlängen gleichzeitig auf. Daraus rechneten die Forscher Multispektralbilder, die erstmals Details der mysteriösen Venus-Nachtwolken zeigen.
Super-Rotation mit eigenen Regeln
„Die Ergebnisse waren unerwartet und ziemlich überraschend“, berichtet Peralta. So scheint die Superrotation auf der Nachtseite der Venus weit weniger geordnet und regelmäßig zu sein als auf der Tagseite. Stattdessen sind die Strömungen chaotischer: Einige Windzonen rasen ähnlich schnell wie auf der Tagseite, andere dagegen bewegen sich nur ein Drittel bis halb so schnell, wie die Forscher herausfanden.
Dies könnte erklären, warum die Modelle der Planetenforscher bisher die Super-Rotation der Venus nicht komplett reproduzieren konnten. „Ganz offensichtlich fehlten uns einige Teile dieses Puzzles“, sagt Peralta. Statt einfach nur eine Fortsetzung der Tagseiten-Strömungen zu bilden, gehorchen die Strömungen auf der Nachtseite des Planeten offenbar eigenen Regeln. „Das widerspricht unserem bisherigen Verständnis der Super-Rotation“, sagt Koautor Håkan Svedhem von der ESA.
Stehende Wolken und Riesenwellen
Auch die Wolken sind anders als auf der sonnenbeschienenen Hälfte der Venus: Sie bilden riesige filamentartige und fleckige Muster, die es so auf der Tagseite nicht gibt. Besonders erstaunlich dabei: Die meisten von ihnen scheinen sich nicht mit der Strömung mitzubewegen – sie sind stationär. „Wir waren so überrascht, dass wir lange darüber diskutiert haben, ob dies real sein kann“, berichtet Peralta.
Das änderte sich jedoch, als die japanische Venussonde Akatsuki vor Kurzem auch auf der Tagseite der Venus einen gigantischen, stationären Wolkenbogen entdeckte. „Das hat unsere Ergebnisse bestätigt“, so Peralta. Inzwischen vermuten die Wissenschaftler, dass die stehenden Wolken der Nachtseite ähnlich wie der Bogen der Tagseite auf stationäre Wellen zurückgehen könnten.
Rätselhafte Wellenlücke
Solche riesigen Wellen gibt es auch in der Erdatmosphäre, beispielsweise über dem Ross-Schelfeis in der Antarktis. Während sie dort jedoch durch Verstärkung ein Schwingungen im Eis entstehen, haben die Forscher auf der Venus bestimmte Gebirgsrücken als Auslöser im Verdacht: „Diese Wellen sind über steilen, hohen Bergen konzentriert, das spricht dafür, dass die Topografie des Planeten das Verhalten der Wolken beeinflusst“, sagt Peralta.
Seltsam nur: Wenn die Berge der Auslöser wären, dann müssten sich diese Wellen auch in tieferen Wolkenschichten nachweisen lassen – doch genau das ist nicht der Fall: Die stationären Wolken setzen erst oberhalb von 50 Kilometern Höhe ein, wie die VIRTIS-Daten ergaben. „Das ist ein ziemlich unerwartetes Ergebnis, denn wir dachten, dass diese Wellen von der Oberfläche ausgehen“, sagt Koautor Ricardo Hueso von der Universität des Baskenlands in Bilbao. „Wir müssen uns unsere Modelle der Venus wohl noch einmal vorknöpfen.“ (Nature Astronomy, 2017; doi: 10.1038/s41550-017-0187)
(ESA, 21.09.2017 – NBPO)