Zehn Jahre Tiefschlaf im Weltall – nun erwacht die ESA-Raumsonde Rosetta wieder zum Leben. Ab August soll sie den Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko umkreisen und untersuchen. Auf dessen Oberfläche soll im November die Landeeinheit Philae niedergehen. Während sich der Komet der Sonne nähert, sollen die Sonden völlig neue Erkenntnisse über ablaufenden Prozesse sammeln. Astronomen erhoffen sich davon Einblicke in die Frühzeit des Sonnensystems und möglicherweise die Entstehung des Lebens.
Tief im Weltall, mehr als 800 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, klingelt am Montag, 20. Januar ein Wecker: Um 11 Uhr Mitteleuropäischer Zeit setzt eine Zeitschaltuhr an Bord der ESA-Raumsonde Rosetta eine Serie interner Kommandos in Gang. Die Navigationsinstrumente werden langsam erwärmt und orientieren sich am Sternenhimmel. Die Sonde stabilisiert ihre Flugbahn, richtet ihre Hauptantenne zur Erde aus und funkt dann – erstmals nach mehr als 30-monatigem Winterschlaf – ein Signal zur Erde. Frühestens ab 18.30 Uhr erwartet die Bodenstation der europäischen Raumfahrtagentur in Darmstadt das erlösende Signal: Alles okay, Rosetta ist wach!
Letzte Etappe einer zehnjährigen Reise
Der elektronische Weckruf ist weit mehr als ein ungewöhnlicher technischer Vorgang aus der Welt der Raumfahrt. Vielmehr läutet er die letzte Etappe einer mehr als zehnjährigen Reise durchs Sonnensystem ein. An deren Ende steht im August dieses Jahres die einzigartige Begegnung der europäischen Raumsonde mit dem Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko, von den Wissenschaftlern kurz 67P genannt. Bevor es soweit ist, nutzt Rosetta die verbleibende Anflugphase, um alle Systeme und Instrumente Schritt für Schritt zum Leben zu erwecken, zu kalibrieren und zu testen.
Anders als bei allen früheren Missionen, bei denen die Sonden mit hohen Geschwindigkeiten am jeweiligen Kometen vorbeirasten, wird diese Begegnung alles andere als flüchtig. Mindestens bis Ende Dezember 2015 soll Rosetta um „ihren“ Kometen kreisen, ihn auf seinem Weg in Richtung Sonne begleiten und mithilfe ihrer elf wissenschaftlichen Bordinstrumente aus nächster Nähe untersuchen. Nach der begonnenen Langzeituntersuchung folgt im November die nächste Premiere der Kometenforschung: Die Landeeinheit Philae soll direkt auf der Oberfläche des Kometen weitere Experimente durchführen.
Rosettas Ziel, der Komet 67P/Churyumov-Gerasimenko, gehört zu den Kometen der Jupiterfamilie. Diese Klumpen aus Eis, gefrorenem Kohlendioxid und Stein treiben die meiste Zeit in einem ähnlichen Abstand um die Sonne wie der Gasriese Jupiter. Ursprünglich stammen diese Brocken allerdings von noch weiter her: Ihren Ursprung haben 67P und seine Familienmitglieder wahrscheinlich im sogenannten Kuiper-Gürtel, einer ringförmigen Region am äußersten Rand unseres Planetensystems jenseits der Neptunbahn, mehr als 30 Mal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde. Durch den Einfluss des Neptuns verlagert sich die Bahn einzelner Körper nach und nach zu den anderen Gasriesen weiter innen im Planetensystem bis hin zu Jupiter. Durch die Gravitation dieser Planeten oder durch Kollisionen mit anderen Objekten können sie jedoch aus der Bahn geworfen werden und als Kometen in Richtung Sonne stürzen.
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Material aus der Geburtsstunde des Sonnensystems
„Trotz dieser Wanderung – und der möglicherweise vorangegangenen Kollisionen – gehören Kometen der Jupiterfamilie zu dem unverfälschtesten Material, das aus der Geburtsstunde des Sonnensystems vor mehr als 4,6 Milliarden Jahren erhalten ist“, sagt Ulrich Christensen, Direktor des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau. Während sich besonders die inneren Planeten durch die Hitze und unter dem Teilchenbeschuss von der Sonne stark veränderten und etwa flüchtige Bestandteile verloren, waren solche Bestandteile über Milliarden von Jahren im Eis der Kometen gespeichert.
Kometen enthalten ebenfalls viele organische Verbindungen. Selbst komplexe Strukturen wie Aminosäuren, die Bausteine der Eiweiße, hat man entdeckt. Wissenschaftler halten es deshalb für möglich, dass Kometeneinschläge einst der jungen Erde solche Stoffe lieferten – und mit ihnen die Bausteine des Lebens. Für Forscher zugänglich wird diese gefrorene Urmaterie, wenn sich der Komet auf seiner Bahn der Sonne nähert. Bei 67P ist das etwa alle sechseinhalb Jahre der Fall. Die Oberfläche erwärmt sich, Wasser und andere gefrorene Gase verdampfen und reißen winzige Staubteilchen mit sich. Der Komet wird aktiv, bildet eine Atmosphäre und den charakteristischen Schweif aus.
Mehr als nur Schnappschüsse
Solches Kometenmaterial soll Rosetta genauer als je zuvor untersuchen. „Die Raumsonde ist eine Art Labor, das vor Ort am Kometen betrieben wird“, erklärt Martin Hilchenbach, Leiter des COSIMA-Teams. COSIMA ist eines der spezialisierten Instrumente zur Analyse des Kometenstaubs. Weil Rosetta den Zielkometen über einen so langen Zeitraum umkreist, kann sie mehr als nur Schnappschüsse im Vorbeiflug machen, wie es bei vorherigen Kometenmissionen der Fall war.
„Rosetta eröffnet uns nicht nur die Möglichkeit, die genauen Verhältnisse und Mengen der organischen Bestandteile zu bestimmen“, so Hilchenbach. „Erstmals können wir auch genau verfolgen, wie sich die Zusammensetzung der Staubteilchen mit der Aktivität des Kometen entwickelt.“ Rosetta wird es ermöglichen, diese Entwicklungen und Prozesse mitzuerleben: „Am Ende der Mission werden wir keinen Kometen so gut kennen wie 67P,“ fasst Christensen zusammen.
(Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, Katlenburg-Lindau, 20.01.2014 – AKR)