Infektiöse Nachwirkung: Ein Aufenthalt im Weltraum kann schlafende Herpesviren reaktivieren – und die Träger hochinfektiös machen. Bei mehr als der Hälfte aller Astronauten, die auf Space-Shuttle-Missionen oder der Internationalen Raumstation ISS waren, haben Forscher nach der Rückkehr reaktivierte Herpesviren nachgewiesen, darunter Epstein-Barr und Windpockenviren. Zwar blieb dies meist symptomlos, doch gerade für längere Missionen berge dies ein erhebliches Gesundheitsrisiko, so die Wissenschaftler.
Astronauten haben es nicht leicht: Die extremen G-Kräfte beim Start, die Schwerelosigkeit, dazu die Belastung durch kosmische Strahlung – all dies ist für den Körper eine enorme Belastung. Dazu kommen noch die Trennung von Freunden und Angehörigen und ein stressiger Job. Die Folgen davon bleiben nicht aus: Neben dem Muskel- und Knochenschwund drohen Schäden am Herz-Kreislauf-System, Fieber und noch dazu Veränderungen des Gehirns und sogar Hirnschwund, wie Studien zeigen.
Herpesviren – latente Gefahr
Eine weitere Gefahr haben nun Bridgette Rooney von GeoControl Systems in Houston und ihre Kollegen von der NASA nachgewiesen: Herpesviren. Zu dieser Virengruppe gehören nicht nur die Erreger der lästigen Lippenbläschen, sie verursachen auch Windpocken, Gürtelrose, Cytomegalie und könne Krebs fördern. Die meisten Menschen tragen eine oder mehrere Varianten dieser Herpesviren in sich, diese bleiben jedoch meist inaktiv.
Das Problem: Ist das Immunsystem geschwächt – beispielsweise durch starken Stress oder Krankheit, können die Viren wieder aktiv werden und dann Symptome verursachen. Und hier kommen die Astronauten ins Spiel: „Es gibt zunehmende Belege dafür, dass die raumfahrtbedingten Belastungen die Ausschüttung von Stresshormonen fördern und dadurch das Immunsystem belasten“, erklären Rooney und ihr Team.
Aktive Viren bei mehr als der Hälfte der Astronauten
Ob dadurch auch die Herpesviren, die 70 bis 985 Prozent aller Menschen in sich tragen, bei den Astronauten reaktiviert werden, haben die Forscher nun mittels Analysen von Blut-, Speichel- und Urinproben von insgesamt 112 NASA-Astronauten ermittelt. 89 dieser Astronauten waren auf nur wenige Tage langen Flügen mit dem Space Shuttle im All, 23 auf Langzeitmissionen auf der Internationalen Raumstation ISS.
Das Ergebnis: Bei 53 Prozent der Space-Shuttle-Astronauten und 61 Prozent der ISS-Astronauten fanden sich während der Mission und nach der Rückkehr aktive, infektiöse Herpesviren in den Körperflüssigkeiten. „Die Astronauten setzten Eppstein-Barr-Viren, Varicella-zoster-Viren und Herpes simplex 1 im Speichel frei und Cytomegaloviren im Urin“, berichten die Forscher. Damit ließen sich vier der acht bekannten Herpesviren-Arten bei den Astronauten in aktiver Form nachweisen.
Erhöhtes Risiko für Mond- und Marsmissionen
Auffallend auch: Je länger die Weltraummissionen dauerten, desto mehr reaktivierte Viren tummelten sich in den Körperflüssigkeiten der Astronauten. Die Virenlast der Gürtelrose-Viren stieg von 41 Prozent bei den kurzen Space-Shuttle-Missionen auf 61 bei den ISS-Aufenthalten. Ähnlich war es bei den Cytomegalie-Viren, wie Rooney und ihr Team berichten. Bei Eppstein-Barr erhöhte sich die Virenfreisetzung von 82 auf 96 Prozent.
Bisher scheint diese Viren-Reaktivierung zwar für die meisten Astronauten glimpflich zu verlaufen: „Nur sechs Astronauten entwickelten dadurch Symptome“, berichtet Koautor Satish Mehta vom Johnson Space Center der NASA. Meist handelte es sich um windpockenartige Hautausschläge. Doch auf noch längeren Missionen wie Flügen zum Mars oder Aufenthalten auf einer künftigen Mondstation könnten die reaktivierten Viren auch ernsthafte Erkrankungen auslösen, so die Forscher.
Viren-Cocktail verstärkt die Gefahr
Hinzu kommt: Weil die meisten Menschen und auch Astronauten gleich mehrere verschiedene Herpesviren-Arten in sich tragen, könnte deren gleichzeitige Reaktivierung den Körper verstärkt belasten und die medizinischen Folgen verschlimmern. „Die physiologischen Konsequenzen könnten sich dann addieren – es käme nicht nur zu Hautauschlägen, sondern auch zu schwerem Organversagen sowie dauerhaften Verlust des Seh- und Hörsinns“, so die Forscher.
Die Ursache für diese Reaktivierung der Herpesviren fanden die Wissenschaftler im Immunsystem der Astronauten: Ihr Spiegel der immunhemmenden Stresshormone Cortisol und Adrenalin war erhöht. „Wir fanden zudem, dass die Abwehrzellen der Astronauten – vor allem jene, die normalerweise Viren bekämpfen und unterdrücken – während des Raumfluges weniger effektiv arbeiten“, berichtet Mehta. Diese Immunhemmung hielt noch bis zu 60 Tage nach Rückkehr zur Erde an.
Gegenmaßnahmen dringend nötig
Um künftige Weltraummissionen nicht durch mögliche Virenerkrankungen zu gefährden, sei es notwendig, diese Reaktivierung der Viren möglichst zu verhindern. „Die ideale Gegenmaßnahme wäre eine Impfung für die Astronauten – aber die gibt es bisher nur gegen Varicella-zoster-Viren“, sagt Mehta. „Versuche zu anderen Herpesviren-Impfstoffen sind bisher wenig vielversprechend, daher muss unser Fokus auf gezielten Behandlungsmethoden liegen.“ (Frontiers in Microbiology, 2019; doi: 10.3389/fmicb.2019.00016)
Quelle: Frontiers