Medizin

Weltraumflüge machen das Gehirn alt

Biomarker für Zellschäden der weißen und grauen Hirnsubstanz bei ISS-Astronauten nachgewiesen

Weltraummission
Wie stark schädigt eine Weltraummission das Gehirn von Astronauten? Diese Frage wird für kommende Flüge zu Mond und Mars entscheidend sein. © 3DSculptor/ Getty images

Neuronale Folgen: Ein längerer Aufenthalt im Weltraum hinterlässt auch im Gehirn Spuren. Dass dabei tatsächlich Hirnzellen zugrunde gehen, haben nun Forscher bei fünf Kosmonauten festgestellt. Nach Rückkehr von der Internationalen Raumstation ISS waren in ihrem Blut vermehrt Proteine nachweisbar, die beim Niedergang von weißer und grauer Hirnsubstanz freigesetzt werden. Der Weltraum scheint das Gehirn demnach vorzeitig altern zu lassen.

Astronauten leben ungesund, denn der Aufenthalt im Weltraum hat negative Auswirkungen auf Körper und Geist, wie Langzeitstudien belegen. In der Schwerelosigkeit des Alls schwinden nicht nur Muskeln und Knochen, auch schlafende Viren erwachen und die Mitochondrien – die Kraftwerke der Zellen – nehmen Schaden. Besondere Sorge bereiten zudem Veränderungen der Hirnstruktur und geistige Defizite, die noch Monate nach Rückkehr zur Erde anhalten.

Biomarker verraten neuronale Zellschäden

Allerdings war bisher unklar, ob das beispielsweise im Kernspin sichtbare Schrumpfen der weißen Hirnsubstanz nach Langzeit-Raummissionen nur eine plastische Deformierung darstellt oder tatsächlich auf einem Abbau von Hirnzellen beruht. Um das herauszufinden, haben Peter zu Eulenburg von der Ludwig-Maximilians-Universität München und seine Kollegen eine Pilotstudie mit fünf russischen Kosmonauten durchgeführt. Alle fünf hatten im Mittel 169 Tage an Bord der internationalen Raumstation ISS verbracht.

Für die Studie entnahm das Forschungsteam den Astronauten 20 Tage vor Abflug zur ISS Blutproben. Nach der Rückkehr der fünf Männer zur Erde wurden weitere Blutproben direkt nach der Landung und noch einmal eine und drei Wochen später entnommen. In diesen Proben analysierten die Wissenschaftler den Gehalt an fünf Proteinen, die als Biomarker für Schäden an Gehirnzellen gelten. „Damit sind wir die ersten, die engmaschig über drei Wochen unmittelbar nach einem Langzeitaufenthalt im Blut sehr detailliert den Zustand des Gehirns beurteilen können“, sagt zu Eulenburg.

Schäden an weißer und grauer Hirnsubstanz

Das Ergebnis: Im Blut der Kosmonauten zeigte sich nach Rückkehr aus dem Orbit ein erheblicher Anstieg von mehreren Biomarkern für neuronale Schäden. Schon direkt nach der Landung war eine Zunahme der Proteine Neurofilament Light (NFL) und des Sauren Gliafaserproteins (GFAP) nachweisbar. Sie sprechen für eine Verletzung der langen Nervenfasern in der weißen Hirnsubstanz und Schäden am Stützgewebe des Gehirns, der Glia, wie das Team erklärt.

Noch drei Wochen später waren zudem zwei Varianten des Amyloid-Proteins und das Tau-Protein vermehrt im Blut der Kosmonauten nachweisbar. Das auch bei Alzheimer entstehende Tau-Protein gilt als Anzeiger für Zellschäden an den Neuronen der grauen Hirnsubstanz, die beiden Amyloid-Proteine sind Biomarker für eine Alterung des Gehirns. Ihre Konzentration war bei den Astronauten umso höher, je länger diese auf der Raumstation geblieben waren.

Beschleunigte Hirnalterung

„Insgesamt deuten unsere Ergebnisse auf eine leichtgradige, aber anhaltende Hirnverletzung und einen beschleunigten Alterungsprozess des Gehirns bei Rückkehr zur Erde hin“, sagt zu Eulenburg. „Es scheinen dabei alle relevanten Gewebsarten des Gehirns betroffen zu sein.“ Die Resultate bestätigen damit die früheren Beobachtungen von geschrumpftem Hirngewebe und verminderter geistiger Leistung.

„Dies ist das erste Mal, dass wir Schäden an Hirnzellen nach einem Weltraumflug konkret und eindeutig über Bluttests nachweisen konnten“, sagt Koautor Henrik Zetterberg von der Universität Göteborg.

Auslösende Faktoren noch unklar

Angesichts der für die Zukunft geplanten Flüge zum Mond und Mars sei es nun wichtig, die Ursachen und Mechanismen dafür nun genauer zu erforschen. „Ist es die Schwerelosigkeit? Oder sind es Veränderungen an der Hirnflüssigkeit? Sind möglicherweise die Belastungen bei Start und Landung schuld?“, fragt Zetterberg.

Noch können die Forschenden über die Antwort nur spekulieren. Ein möglicher Grund könnte ihrer Ansicht nach der gestörte Abfluss des venösen Bluts aus dem Kopf in der Schwerelosigkeit sein. Dies führt im Lauf der Zeit zu einem Druckanstieg im Nervenwasser, der möglicherweise das Hirngewebe schädigt.

„Um die neurologischen Risiken bei Langzeitmissionen zu minimieren und die allgemeine klinische Bedeutung der Befunde zu bestimmen, sind umfassendere Studien mit vorbeugenden Maßnahmen gegen den Druckanstieg im Kopf unbedingt notwendig, bevor Raumfahrer eine Reise zum Mars antreten“, sagt Peter zu Eulenburg. (JAMA Neurology, 2021, doi: 10.1001/jamaneurol.2021.3589)

Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München

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