Astronomie

Wie „normal“ ist unsere Galaxie?

Stellare Element- und Altersverteilung der Milchstraße ist ziemlich ungewöhnlich

Milchstraße (Illustration)
Unsere Milchstraße ist in Bezug auf die Alters- und Elementverteilung ihrer Sterne ziemlich ungewöhnlich. © Stefan Payne-Wardenaar

Die Milchstraße ist ein Exot: Ihre Elementverteilung weicht deutlich von der anderer Galaxien ihrer Größe und ihres Alters ab, wie Astronomen herausgefunden haben. Während bei den meisten ihrer „Artgenossen“ der Anteil von metallreichen Sternen relativ regelmäßig abnimmt, gibt es bei der Milchstraße einen zweigeteilten Verlauf mit Peak bei rund 23.000 Lichtjahren Entfernung vom Zentrum. Eine solche Zweiteilung lässt sich nur bei rund einem Prozent ähnlicher Galaxien beobachten – und bei keiner ist der Verlauf so steil.

Auf den ersten Blick ist unsere Milchstraße eine ziemlich gewöhnliche Galaxie vom Typ der Balkenspiralen. Sie ist zwar ein wenig verbeult und zeigt Spuren früherer Kollisionen, dennoch gab es schon im frühen Kosmos Galaxien in ganz ähnlicher Form. Unklar war bisher allerdings, ob unsere Heimatgalaxie auch in der Verteilung ihrer Sterne und deren altersbedingter Chemie ein typischer Fall oder eher eine Ausnahme ist.

Milchstraße im Galaxienvergleich

„Seit Astronomen vor hundert Jahren erkannt haben, dass die Milchstraße nicht die einzige Galaxie im Universum ist, haben sie sich gefragt, ob unsere Milchstraße etwas Besonderes ist oder nicht“, erklärt Erstautor Jianhui Lian vom Max-Planck-Institut für Astronomie und der Universität Yunnan. Das Problem: Weil wir Erdlinge unsere Galaxie nicht von oben sehen, sondern mittendrin sitzen, ist unsere Sicht auf viele Regionen blockiert. Erst aufwendige Kartierungen stellarer Spektren mit dem Sloan Digital Sky Survey oder dem Gaia-Satelliten der ESA liefern heute mehr Einblick.

Jetzt haben Lian und sein Team diese Daten erstmals genutzt, um die stellare Alters- und Elementverteilung der Milchstraße mit der anderer Galaxien gleicher Masse und ähnlicher Sternbildungsrate zu vergleichen. Dafür untersuchten sie zunächst für unsere Heimatgalaxie, ob und wie sich der Anteil schwerer Elemente in Sternen vom galaktischen Zentrum bis an den Außenrand verändert.

MEtallizitätsprofil
Metallizitäts-Profil der Milchstraße insgesamt (schwarz) und für verschiedene Altersklassen von Sternen. © Lian et al./ Nature Astronomy, CC-by 4.0

Buckel in der Verteilungskurve

Es zeigte sich: Anders als erwartet nimmt die Metallizität der Sterne in der Milchstraße nicht gleichmäßig von innen nach außen ab. Stattdessen folgt die Verteilung einer zweigeteilten Kurve, wie die Astronomen feststellten: Bis zu einer Entfernung von rund 23.000 Lichtjahren vom zentralen Schwarzen Loch steigt der Anteil von jüngeren, metallreicheren Sternen an und erreicht dann ein Maximum. Unsere Sonne, die rund 26.000 Lichtjahre vom Zentrum entfernt liegt, entspricht in ihrem Elementgehalt und Alter etwa diesem Wert.

Geht man jedoch in der Sternenscheibe der Milchstraße weiter nach außen, fällt der Metallgehalt der Sterne wieder ab. In etwa 50.000 Lichtjahren Entfernung vom galaktischen Zentrum liegt die durchschnittliche Metallizität nur noch bei rund einem Drittel des Sonnenwerts, wie Lian und sein Team feststellten. Nähere Analysen zeigten auch den Grund dafür: Im Zentrum der Milchstraße gibt es überproportional mehr metallarme und damit sehr alte Sterne.

Milchstraße ist ziemlich ungewöhnlich

Doch wie sieht es nun mit anderen Galaxien aus? Dafür verglichen die Astronomen das Metallizitäts-Profil der Milchstraße mit dem von 321 Galaxien mit ähnlicher Masse und Sternbildungsrate. Sie sind Teil des im Rahmen der MaNGA-Durchmusterung erstellten Katalogs der Metallizitäten von fast 10.000 Galaxien. Zusätzlich untersuchten die Forschenden das Profil von 134 milchstraßenähnliche Galaxien im Modelluniversum der TNG50-Simulation – einer umfassenden Simulation der Galaxienentwicklung.

Das Ergebnis: Das zweigeteilte Elementprofil der Milchstraße ist unter ihren galaktischen Artgenossen alles andere als normal oder alltäglich. „Der größte Teil der milchstraßenähnlichen Galaxien in MaNGA und TNG50 zeigt eine deutlich flachere radiale Metallizitäts-Verteilung“, berichten Lian und sein Team. Bei den meisten Galaxien nimmt der Anteil junger, metallreicher Sterne relativ gleichmäßig von außen nach innen ab. Nur ein Prozent der Galaxien in der MaNGA-Stichprobe und elf Prozent in der TNG50-Simulation zeigten ein ähnliches Auf und Ab wie die Milchstraße.

Bewegte Geschichte als Ursache?

Unsere Milchstraße ist damit in Hinsicht auf ihre Alters- und Elementverteilung zwar nicht einzigartig, aber eher ungewöhnlich. Nur eine kleine Minderheit ihrer „Artgenossen“ hat ein ähnlich altes Zentrum und eine so steil abfallende Metallizität an ihrem Außenrand. „Die Ergebnisse sind sehr spannend! Das ist das erste Mal, dass wir die chemische Zusammensetzung unserer Galaxie sinnvoll mit den Messungen an zahlreichen anderen Galaxien vergleichen können“, sagt Koautorin Maria Bergemann vom MPI für Astronomie.

Warum die Milchstraße von der Mehrheit der anderen Galaxien abweicht, ist noch nicht eindeutig geklärt. Eine mögliche Erklärung für den Mangel jüngerer Sterne im Zentrum könnte die Kollision sein, die vor acht bis zehn Milliarden Jahren den zentralen Bulge unserer Galaxie schuf: Möglicherweise verbrauchte dies den Großteil des interstellaren Gasnachschubs für neue, jüngere Sterne. Denkbar wäre aber auch, dass eine aktive Phase des zentralen Schwarzen Lochs der Milchstraße die Sternbildung in seiner Umgebung hemmte.

Auch die relativ steile Abnahme junger Sterne am Außenrand der Milchstraße könnte mit ihrer bewegten Geschichte zusammenhängen: Möglicherweise sammelte sich dort metallarmes Gas einer von unserer Heimatgalaxie verschlungenen alten, metallarmen Zwerggalaxie, so die Hypothese der Astronomen. Welche Erklärungen zutreffen, müssen nun weitere Studien klären. (Nature Astronomy, 2023; doi: 10.1038/s41550-023-01977-z)

Quelle: Max-Planck-Institut für Astronomie

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Skelett eines ungeborenee Kindes

So entstehen die Knochen des ungeborenen Kindes

Astronomen entdecken jüngsten Transit-Planet

Mehr Blackouts durch Wind- und Sonnenstrom?

Parkinson: Wenn mehr Dopamin mehr Zittern bedeutet

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Kosmische Kollisionen - von Lars Lindberg Christensen, Davide de Martin und Raquel Yumi Shida

Geheimnisvoller Kosmos - Astrophysik und Kosmologie im 21. Jahrhundert von Thomas Bührke und Roland Wengenmayr

Top-Clicks der Woche