Astronomie

YORP-Effekt zerreißt Asteroid

Staubschweife belegen beginnenden Zerfall eines Asteroiden durch einen Strahlungseffekt

6478 Gault
Hubble-Aufnahme des Asteroiden 6478 Gault – einem Gesteinsbrocken, der durch den strahlungsbedingten YORP-Effekt allmählich zerrissen wird. © NASA, ESA, K. Meech and J. Kleyna (University of Hawaii), O. Hainaut (European Southern Observatory)

Opfer der Zentrifugalkraft: Im Asteroidengürtel haben Astronomen einen Asteroiden entdeckt, dessen Staubschweife seinen Zerfall ankündigen. Das Spannende daran: Der Vier-Kilometer-Brocken ist weder kollidiert noch ist er ein toter Komet. Stattdessen lässt ihn der ungleiche Einfluss der Sonnenstrahlung so schnell rotieren, dass die Zentrifugalkraft den Asteroiden förmlich auseinanderreißt. Er ist damit ein seltenes Beispiel für den sogenannte YORP-Effekt.

Normalerweise ist klar: Ein Komet entwickelt in Sonnennähe einen Schweif, ein Asteroid aber nicht. Denn letzterer ist zu steinig und trocken, um auszugasen und so größere Mengen an Substanz ins All zu verlieren. Doch inzwischen gibt es einige Himmelskörper, die diesem Prinzip widersprechen. Unter ihnen sind Brocken im Asteroidengürtel, die sich als „tote Kometen“ entpuppten, aber auch echte Asteroiden wie P/2013 P5, ein Gesteinsbrocken mit gleich sechs Schweifen.

Asteroid mit zwei Schweifen

Jetzt haben Astronomen um Jan Kleyna von der University of Hawaii ein weiteres Beispiel für einen schweiftragenden Asteroiden aufgespürt. Der rund vier Kilometer große 6478 Gault wurde bereits 1988 entdeckt, zeigte damals aber noch keine besonderen Auffälligkeiten. Im Januar 2019 jedoch änderte sich dies: Die Teleskope des ATLAS Sky Survey auf Hawaii beobachteten nun, dass der Asteroid einen langen Trümmerschweif hinter sich herzog. Weitere Beobachtungen enthüllten wenig später noch einen zweiten Schweif.

Was aber ist die Ursache? Um das herauszufinden, haben die Astronomen den Asteroiden und seine Schweife mit verschiedenen Teleskopen weiter beobachtet und auch ältere Daten noch einmal ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass die Staubschweife von 6478 Gault nicht gleichgeblieben sind, sondern zweimal in kurzen Ausbrüchen dichter wurden. In ihnen werden dabei Staubpartikel mit 0,7 Metern pro Sekunde ins All geschleudert.

Rotation am Rande der Zerreißgrenze

Den entscheidenden Hinweis aber lieferte die Rotation des Asteroiden: Beobachtungen mit dem Hubble Weltraumteleskop ergaben, dass 6478 Gault nur zwei Stunden für eine Umdrehung benötigt. Für einen Brocken seiner Größe ist dies extrem schnell: „Seine äquatoriale Rotationsgeschwindigkeit liegt damit nahe an der Fluchtgeschwindigkeit – das bedeutet, dass das Material an seiner Oberfläche nur noch schwach festgehalten wird“, erklären Kleyna und seine Kollegen.

Der Asteroid gehört damit zu den „superschnellen Rotatoren“ – Brocken, die sich so schnell drehen, dass die Zentrifugalkraft sie zu zerreißen droht. Schon kleinste Störungen reichen aus, um Teile des Asteroiden ins All hinaus zu katapultieren, wie die Forscher erklären. Dies könnte auch erklären, warum seine Schweife so unregelmäßig sind: Sie werden immer dann dichter, wenn ein ganzer Schwall von Material den Halt verliert und weggerissen wird.

YORP-Effekt: Sonnenlicht als Auslöser

Woher aber kommt die extreme Rotation dieses Asteroiden? Da es keine Hinweise auf eine Kollision gibt, vermuten die Astronomen den Grund in einem schon lange theoretisch vorhergesagten Phänomen, dem sogenannten YORP-Effekt. Er entsteht, wenn ein Asteroid einseitig von Sonnenlicht beschienen wird und sich seine Oberfläche erwärmt. Wärmeabstrahlung und Strahlungsdruck erzeugen dann eine kleine Kraft, die in Drehrichtung des Brockens wirkt – seine Rotation wird dadurch allmählich schneller.

Im Laufe der Zeit kann der YORP-Effekt zu einem Rotationtempo führen, das den Asteroiden geradezu auseinanderreißt. Astronomen schätzen, dass von den rund 8000.000 bekannten Asteroiden im Asteroidengürtel etwa einer pro Jahr Opfer einer solchen YORP-Disruption wird. Die Entdeckung von 6478 Gault mitten in diesem Prozess ist daher ein seltenes und für die Astronomie wertvolles Ereignis, wie die Forscher betonen.

„6478 Gault ist der bisher beste Beleg für einen solchen superschnellen Rotator direkt an der Zerreißgrenze, sagt Kleyna. „Er könnte schon seit zehn Millionen Jahren am Rand der Instabilität stehen. Schon kleinste Störungen wie der Einschlag eines winzigen Meteoriten können ihn destabilisieren und Materialausbrüche verursachen.“ Wann der Brocken endgültig zerfallen wird, lässt sich jedoch bisher nicht vorhersagen – die Astronomen werden 6478 Gault im Auge behalten. (Astrophysical Journal Letters, in press, arXiv:1903.12142)

Quelle: NASA, ESA/Hubble Information Centre

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