Mondstation in Moskau: Drei Männer und drei Frauen haben sich auf eine Reise zum Mond begeben – ohne die Erde zu verlassen. Denn im SIRIUS-19-Experiment leben und arbeiten die sechs Kosmonauten nun vier Monate lang in einer Moskauer Isolationsstation unter den Bedingungen einer Raumstation im Mondorbit. Abgeschlossen von der Außenwelt müssen sie Leistungsdruck, Isolation und das Zusammenleben auf engem Raum meistern. Sogar ein „Außeneinsatz“ zur Mondoberfläche ist geplant.
Knapp 50 Jahre nach der ersten Mondlandung durch die Astronauten der Apollo 11 erlebt der Erdtrabant als Ziel für Raummissionen eine Renaissance. Nach jahrzehntelanger Pause planen nun gleich mehrere Raumfahrtagenturen und Privatunternehmen neue Flüge zum Mond. Die NASA möchte schon in naher Zukunft eine Raumstation im Mondorbit bauen, die ESA plant ein Monddorf auf der lunaren Oberfläche.
„Doch bevor hier überhaupt sinnvoll geforscht werden kann, müssen Besatzungen ausgebildet werden, die eine solche Mission erfolgreich bestreiten“, sagt Christian Rogon, SIRIUS-Projektleiter vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). „Dafür müssen sie – wie in SIRIUS-19 – lange Zeit in einer Mischung aus psychischem Stress durch totale Abgeschiedenheit und hohem Leistungsdruck leben können. Nur so können wir mehr über das Zusammenspiel von Körper und Geist in Isolation erfahren.“
„Raumstation“ mit gemischter Crew
Genau dies werden nun zwei US-Astronauten und vier russische Kosmonauten in den nächsten vier Monaten testen. Im Rahmen des Isolations-Experiments SIRIUS-19 absolvieren sie eine simulierte Mondmission unter möglichst realistischen Bedingungen. Möglich wird dies im Institut für Biomedizinische Probleme (IBMP RAS) in Moskau. Dort steht ein 550 Kubikmeter großes Modul für die Simulation von Weltraumeinsätzen – in dieser virtuellen Raumstation fand auch schon das Mars-500-Experiment statt.
Am 19. März 2019 ist die Crew der lunaren Station zu ihrer virtuellen Reise aufgebrochen. Bis zum 19. Juli 2019 werden die drei Männer und drei Frauen nun abgeschlossen von der Außenwelt leben, arbeiten und forschen. Kommandant der Mission ist der russische Kosmonaut Yevgeny Tarelkin, der bereits Weltraumerfahrung hat. Ihn begleiten die US-Amerikaner Reinhold Povilaitis und Allen Mirkadyrov und die russischen Teilnehmer Daria Zhidova, Anastasia Stepanova und Stephania Fedeye.
„Wichtig ist bei SIRIUS-19, dass dieses Mal – im Gegensatz zu vergleichbaren Studien wie zum Beispiel MARS 500 – auch Frauen mit an Bord sind“, erklärt Rogon. „Wie löst eine gemischte Crew die Herausforderungen in der Isolation? Wie geht sie mit möglichen Pannen um? Wie reagiert sie auf erhöhten Leistungsdruck? Das sind alles Fragen, auf deren Antworten wir schon sehr neugierig sind.“
Der Ablauf der Mission
Die Reise beginnt in der kleinen Kapsel eines Transporter-Raumschiffs. Nachdem die Crew nach drei Tagen Raumflug in einen Mondorbit eingeschwenkt ist und sich so einer orbitalen Mondstation genähert hat, dockt ihre Kapsel am zehnten Tag an. Jetzt können die „Kosmonauten“ in den neuen Lebensraum übersiedeln und die gesamte Station nutzen, die von nun an 100 Tage ihr Zuhause und ihr Arbeitsplatz sein wird.
Sie werden täglich Gesundheits- und Fitnesschecks durchlaufen, Sport treiben, Sicherheitstrainings absolvieren, die Station keimfrei halten und Raumschiffe an- und abkoppeln. Zahlreiche Experimente machen ihren Acht-Stunden-Arbeitstag komplett. Die Schlaf- und Wachzeiten bleiben in Anlehnung an die irdische Heimat weitestgehend unverändert. Alle 30 Tage versorgt ein Raumfrachter die orbitale Mondstation mit neuer Nahrung und Verbrauchsmaterial.
„Da die Eintönigkeit der Arbeitsabläufe auf sehr begrenztem Raum zu einer großen Herausforderung werden kann, wird die Crew auch auf zufällige technische Störungen und Pannen wie einen fünftägigen Kommunikationsausfall mit der ‚Bodenstation‘ reagieren müssen“, erklärt Rogon. Der Funkverkehr mit der Erde ist generell fünf Minuten in jede Richtung zeitverzögert.
Ausflug zur Mondoberfläche
Neben den Experimenten und den alltäglichen Herausforderungen wartet noch ein besonderes Highlight auf die Crew: ein Ausflug zu unserem Erdtrabanten. „Genau zur Halbzeit werden vier ‚Kosmonauten‘ in einer kleinen Landesonde zur Mondoberfläche aufbrechen. Dort angekommen sollen Yevgeny Tarelkin und Reinhold Povillaitis in Raumanzügen mehrere ‚Mondspaziergänge‘ unternehmen, Proben sammeln und eine ‚Besiedlung‘ des Mondes vorbereiten“, betont Rogon.
Zwei Raumfahrer bleiben in der orbitalen Mondstation zurück und überwachen den Ausflug. Nach Rückkehr und Docking der Landesonde mit der Station sollen alle gemeinsam noch 30 Tage lang den Erdtrabanten umrunden. In dieser Zeit steuert die Crew Rover auf der Mondoberfläche fern, dockt weitere Raumschiffe an der orbitalen Station an und führt weitere Experimente durch, ehe es am 19. Juli 2019 wieder zurück nach Moskau gehen soll.
70 wissenschaftliche Experimente
Während ihres Aufenthaltes auf der simulierten orbitalen Mondstation müssen die Kosmonauten insgesamt mehr als 70 Experimente absolvieren, sechs davon stammen aus Deutschland. So testen zum Beispiel Forscher des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln ein neues Lernprogramm, mit dem Raumfahrer das Andocken von Raumschiffen an Raumstationen üben können. Auf diese Weise erlernen sie selbständig die geistigen und motorischen Fähigkeiten zur manuellen Kontrolle von Objekten mit sechs Freiheitsgraden.
Auch das Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart beschäftigt sich mit Dockingmanövern. In einem Projekt des ehemaligen deutschen Astronauten Reinhold Ewald müssen die sechs „Kosmonauten“ in einer Simulation das brandneue russische Raumschiff PTK-Federatsiya steuern und an der Mondorbitalstation Lunar Orbital Platform-Gateway (LOP-G) andocken. Weitere Experimente testen effektive Trainingsmethoden gegen Muskelabbau, untersuchen die Psyche der Kosmonauten, deren Schlaf oder mögliche Schutzmaßnahmen gegen Infektionen.
Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)