Belastet schon im Mutterleib: US-Forscher haben in Nabelschnurblut und Blut von Neugeborenen 109 verschiedene Industriechemikalien nachgewiesen. Von diesen wurden 55 nie zuvor im Menschen gefunden, bei 42 dieser Substanzen sind Quelle, Anwendungszweck und Gesundheitswirkung noch unbekannt, wie die Wissenschaftler berichten. Heikel ist dies deshalb, weil diese Chemikalien auch an das Ungeborene weitergegeben werden.
Wir sind in unserer Umwelt einer Vielzahl unterschiedlichster Substanzen ausgesetzt – von Inhaltsstoffen von Plastik und Haushaltsreinigern über Luftschadstoffe und Pestizide bis hin zu Mikroplastik und Schwermetallen in unserem Essen. Besonders gefährdet durch solche Chemikalien sind ungeborene Kinder, weil sich ihre Organe und vor allem ihr Gehirn erst entwickeln. Zwar dient die mütterliche Plazenta als Schutzbarriere für viele Schadstoffe, aber vor allem einige hormonähnlich wirkende Chemikalien können diese Schranke passieren, wie Studien belegen.
Welche Chemikalien sich im Blut von Müttern und ihren neugeborenen Kindern finden, haben nun Aolin Wang von der University of California in San Francisco und ihre Kollegen untersucht. Dafür nahmen sie 30 Mutter-Kind-Paaren Blut ab und analysierten es gemeinsam mit Proben aus dem Nabelschnurblut mithilfe einer speziellen Massenspektrometrie. Die chemischen Grundbausteine und deren Anteile verglichen sie dann mit einer Referenzdatenbank von rund 3.500 Industrie-Chemikalien.
109 Industriechemikalien schon bei der Geburt
Das Ergebnis: Das Team wies 109 verschiedene Chemikalien sowohl im Blut der Mütter wie ihrer Kinder nach. Von diesen stammen 40 aus Weichmachern, 28 aus Kosmetika, 29 sind Arzneimittel und 25 sind typischerweise in Haushaltsmitteln enthalten. Aber auch 23 verschiedene Pestizide, drei Flammschutzmittel und sieben polyfluorierte Alkylverbindungen waren im Blut auch der Neugeborenen enthalten.
„Es ist alarmierend, dass wir immer wieder Chemikalien finden, die von schwangeren Frauen an ihre Kinder weitergegeben werden“, sagt Wangs Kollegin Tracey Woodruff. „Wahrscheinlich gelangen diese Chemikalien schon seit einiger Zeit ins Blut des Menschen, aber erst mit neuer Technologie können wir immer mehr von ihnen identifizieren.“
42 Rätsel-Substanzen
Unter den Chemikalien sind auch 55 Substanzen, die zuvor noch nie im menschlichen Blut nachgewiesen wurden. Darunter sind zehn Weichmacher, ein Pestizid und zwei perfluorierte Alkyle. Letztere sind fluorhaltige organische Verbindungen, die als langlebige Umweltschadstoffe gelten. Sie reichern sich in Geweben an und einige von ihnen stehen unter dem Verdacht, hormonähnlich und krebserregend zu wirken.
42 der neu im Blut gefundenen Chemikalien geben Wang und ihrem Team jedoch Rätsel auf. Denn für sie gibt es bisher keine Informationen darüber, wo sie produziert und wofür sie eingesetzt werden. Auch ihre biologische und medizinische Wirkung lässt sich aufgrund der verfügbaren Daten nicht einschätzen, wie die Forschenden berichten.
Mangelnde Information „beunruhigend“
„Es ist beunruhigend, dass wir für so viele dieser Chemikalien die Quellen und Anwendungen nicht ermitteln können“, sagt Woodruff. Hier seien die Umweltbehörden gefragt, die eine bessere Dokumentation von Chemieprodukten durch die chemische Industrie durchsetzen müssten. „Sie müssen sicherstellen, dass wir adäquate Informationen haben, um potenzielle Gesundheitsrisiken bewerten zu können.“ (Environmental Science and Technology, 2021; doi: 10.1021/acs.est.0c05984)
Quelle: University of California – San Francisco