Immunglobuline sind nicht nur entscheidende Abwehrmoleküle des Immunsystems, sie sind heute auch wichtige Helfer der Mediziner im Kampf gegen Krankheiten wie Multiple Sklerose und bestimmte Arten des Muskelschwunds. Doch wann ist ihr Einsatz wirklich sinnvoll? Das haben jetzt Bochumer Wissenschaftler untersucht.
Wenn die körpereigene Abwehr sich gegen den falschen Feind wendet, hat das mitunter schlimme Folgen. Werden eigene Zellen fälschlich als fremd erkannt, greifen Immunzellen sie an und zerstören sie. So geht zum Beispiel bei der Multiplen Sklerose die Isolierschicht der Nervenzellen zugrunde, ähnliche Abläufe sind Ursache des so genannten Guillain-Barré-Syndroms, das durch sich rasch ausbreitende Lähmungserscheinungen gekennzeichnet ist. Hilfe bieten Immunglobuline, die die krankmachenden Bestandteile des körpereigenen Abwehrsystems neutralisieren können.
Doch wann ist ihr Einsatz sinnvoll und wirksam? Und wann nicht? Forscher um Professor Dr. Ralf Gold von der Neurologischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum haben in der aktuellen Ausgabe von „Nature Clinical Practice Neurology“ Leitlinien zum Einsatz dieses wirksamen, aber auch teuren Wirkstoffs zusammengestellt. Die Autoren haben in den letzten 15 Jahren intensiv über Mechanismen von Immunglobulinen in Grundlagen- und klinischer Forschung gearbeitet und präsentieren den aktuellen Stand der Wissenschaft und therapeutischen Anwendung.
Krankmachende Antikörper neutralisieren
In den letzten zehn Jahren haben sich die Erfolge in der Behandlung neurologischer Autoimmunerkrankungen stark verbessert. "Das beruht vor allem auch darauf, dass unsere Therapieoptionen durch den Einsatz intravenöser Immunglobulin-Präparate verbessert wurden", erklärt Gold. Immunglobuline sind körpereigene Eiweiße, die mit einem Ende an ganz bestimmte Fremdkörper andocken können. Zellen des Immunsystems erkennen so den markierten Eindringling und machen ihn unschädlich.
Mit dem anderen Molekülende werden Elemente des angeborenen Immunsystems moduliert. Bei Autoimmunkrankheiten angewandt erkennen und neutralisieren die Immunglobuline krankmachende Antikörper und unterdrücken entzündungsfördernde Stoffe im Gewebe. Die zur Therapie verwendeten Immunglobuline werden aus dem Blutplasma von 5.000 bis 10.000 gesunder Spender gewonnen. Ein und dasselbe Präparat eignet sich daher zur Behandlung unterschiedlicher Autoimmunkrankheiten.
Therapie der Wahl
Auf Grundlage Evidenz-basierter klinischer Studien sind intravenöse Immunglobuline nun die Therapie der Wahl beim Guillain-Barré-Syndrom und bestimmten Nervenentzündungen wie der chronisch-demyelinisierenden Polyneuritiden und der multifokalen motorischen Neuropathie. Darüber hinaus sind sie eine wichtige Therapie für Patienten mit sich rasch verschlechternder Myasthenie (eine Form von Muskelschwäche), als Therapiealternative bei Dermatomyositis (eine Muskelentzündung mit Beteiligung der Haut), Stiff-person Syndrom, bei dem die Muskelspannung aufgrund eines Befalls des zentralen Nervensystems krankhaft gesteigert ist, und in bestimmten Lebensabschnitten von Patienten mit Multipler Sklerose.
Warnung vor Gießkannenprinzip
"Das breite Repertoire an Immunmechanismen zusammen mit dem hervorragenden Sicherheitsprofil hat dazu geführt, dass das Medikament immer großzügiger eingesetzt wurde, sogar bei solchen Erkrankungen, für die nur eine schwache Datenlage existiert", stellt Gold fest. Das führt nicht nur zu einer zunehmenden Verknappung des Wirkstoffs, sondern auch zu einem immensen Kostenanstieg für Immunglobuline. "Deshalb müssen beim therapeutischen Einsatz neben Kostenaspekten auch viele praktische Gesichtspunkte, unter Berücksichtigung möglicher Wirkmechanismen bedacht werden", so Gold. Verschiedene Erkrankungen bedürfen zum Beispiel unterschiedlicher Dosierungen und unterschiedlich häufiger Behandlungen.
(Ruhr-Universität Bochum, 16.01.2007 – NPO)