Düstere Prognose: Knapp ein Viertel der Bevölkerung Afrikas könnte sich innerhalb eines Jahres mit dem Coronavirus infizieren – dies entspricht rund 250 Millionen Menschen. Allerdings wird sich die Pandemie in Afrika langsamer entwickeln als in Europa oder den USA, wie eine Modellprognose der Weltgesundheitsorganisation WHO nahelegt. Auch die Rate der schwerkranken und Toten könnte aufgrund der jüngeren Bevölkerung geringer ausfallen.
Bisher grassiert die Corona-Pandemie vor allem in Asien, Europa und Nordamerika – Afrika hat dagegen noch vergleichsweise wenige Covid-19-Fälle. Sollte die Zahl der Erkrankten aber stark ansteigen, könnte dies zu einer humanitären Katastrophe führen. Denn die Gesundheitssysteme in vielen afrikanischen Ländern sind kaum für eine solche Welle von Infektionen und Erkrankten gerüstet. Die Testkapazitäten sind meist gering und eine intensivmedizinische Behandlung von Patienten vielerorts nicht möglich.
Wie gefährdet ist Afrika?
Umso drängender ist die Frage, wie stark die Corona-Pandemie in Afrika ausfallen wird. Das haben nun Forscher der Weltgesundheitsorganisation WHO in einer Modellstudie untersucht. „Wir haben dafür ein Modell entwickelt, das sowohl die Übertragungs-Merkmale des Virus als auch die länderspezifischen sozioökologischen Faktoren berücksichtigt“, erklären Joseph Cabore und sein Team.
In die Berechnungen gingen unter anderem die Bevölkerungsdichte, der Anteil der Stadtbevölkerung, die Zahl großer Städte und die Mobilität der Bewohner in den verschiedenen Ländern mit ein. Diese Faktoren beeinflussen vor allem das Infektionsrisiko, wie die Forscher erklären. Für den Anteil der schweren Verläufe und die Todesrate spielen dagegen vor allem die Altersstruktur und der Anteil der Menschen mit Vorerkrankungen eine Rolle.
Jeder vierte Afrikaner könnte sich infizieren
Das Ergebnis: In Afrika könnten sich innerhalb eines Jahres rund 22 Prozent der Bevölkerung mit dem Coronavirus anstecken – knapp jeder vierte Bewohner des Kontinents. Insgesamt rechnen die Forscher mit 166 bis 275 Millionen Infizierten im ersten Jahr der Corona-Pandemie. Am stärksten betroffen sind dem Modell zufolge Südafrika, Algerien und Kamerun, sowie einige kleinere Länder und Inselstaaten. Mit knapp 60 Millionen die meisten Fälle werden für Nigeria prognostiziert.
„Unsere Daten sprechen dafür, dass sich SARS-CoV-2 in Afrika langsamer ausbreitet als in anderen Regionen der Welt“, so das WHO-Team. „Die einzigartigen sozioökologischen Bedingungen dieser Region tragen zu einer Verringerung der Fallzahlen bei und strecken die Infektionen über einen längeren Zeitraum.“ Zu den bremsenden Faktoren gehören unter anderem eine geringere Mobilität der Bevölkerung, ein hoher Anteil ländlicher Einwohner und in manchen Ländern eine insgesamt geringe Bevölkerungsdichte.
Weniger Kranke und Todesfälle als bei uns
Allerdings: Trotz der hohen Zahl der Infektionen wird der Anteil schwerer Verläufe in Afrika wahrscheinlich geringer ausfallen als in Europa oder China. Bis zu 90 Prozent der mit SARS-CoV-2 Infizierten könnte symptomfrei bleiben, so die WHO-Studie. An Covid-19 erkranken würden rund 40 Millionen Menschen, davon fünf Millionen so schwer, dass sie ins Krankenhaus müssten.
Auch beim Anteil der Todesfälle gibt es deutliche Unterschiede zu anderen Kontinenten: Die Forscher prognostizieren rund 150.000 Todesfälle durch Covid-19 im ersten Pandemie-Jahr. Das entspricht einer Letalität von etwa 0,06 Prozent und ist deutlich niedriger als in Europa oder den USA.
„Die Region wird weniger Tote erleben, aber diese ereignen sich in vergleichsweise jüngeren Altersgruppen“, berichten Cabore und sein Team. „Viele dieser Todesfälle werden zuvor als gesund betrachtete Menschen treffen, weil es in Afrika viele nicht diagnostizierte Vorerkrankungen gibt.“ Dieses Muster sei schon jetzt bei den afrikanischen Covid-19-Fällen zu erkennen.
Trotzdem droht ein Kollaps der Gesundheitssysteme
Nach Ansicht von Cabore und seinen Kollegen demonstriert diese Prognose, dass die Corona-Pandemie in Afrika gerade erst anfängt – und dass ihr Ausmaß die ohnehin labilen Gesundheitssysteme und knappen Ressourcen der afrikanischen Länder schnell überfordern werden. Selbst wenn der Anteil der Schwerkranken niedriger liegt als in Europa oder den USA, gäbe es für diese Fälle in vielen Regionen keine adäquate Versorgung.
„Diese Kapazitätsprobleme unterstreichen, wie wichtig erfolgreiche Eindämmungsmaßnahmen sind“, so die Forscher. „Der Effekt solcher Maßnahmen gegen eine weitverbreitete und unkontrollierte Ausbreitung von SARS-CoV-2 ist signifikant und wiegt auch die Kosten dafür auf.“ Hier sei auch die Mithilfe der reicheren Länder gefragt. (The BMJ, 2020; doi: 10.1136/bmjgh-2020-002647)
Quelle: BMJ